Hessen is watching you
Dauerhafte Ortung von Mobilgeräten? Einsatz von verdeckten Ermittler*innen? Trotz der Novelle von 2023 sieht das Hessische Verfassungsschutzgesetz kaum Hürden für solche grundrechtsintensiven Maßnahmen vor. Das ist verfassungswidrig. Wir hatten bereits 2019 eine Verfassungsbeschwerde gegen das Hessische Verfassungsschutzgesetz eingereicht. Auch nach der Gesetzesänderung hielten wir an unserer Beschwerde fest und erreichten mit dem Beschluss der Karlsruher Richter*innen im September 2024 einen weiteren Erfolg für die Grundrechte.
Zu niedrige Voraussetzungen für Überwachungsbefugnisse
Die hessische Landesregierung hatte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) zwar zur Kenntnis genommen, aber mit der HVSG-Novelle von 2023 nicht vollständig umgesetzt.
Besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie die länger andauernde Ortung von Mobilfunkgeräten oder der Einsatz von verdeckten Ermittler*innen über einen längeren Zeitraum waren nach dem HVSG bei „erheblich beobachtungsbedürftigen Bestrebungen“ zulässig. Um unter diese „Bestrebungen“ zu fallen, reichten bereits geringfügige Straftaten wie Sachbeschädigung aus.
Bei anderen Maßnahmen war noch nicht einmal das erforderlich. Hier sollte es ausreichen, wenn eine „beobachtungsbedürftige Bestrebung“ vorliegt. Der Verfassungsschutz konnte beispielsweise verdeckte Ermittler*innen bis zu sechs Monate einsetzen sowie Auskünfte von Verkehrsunternehmen einholen. Da Verkehrsunternehmen (ÖPNV, Car- und Bikesharing, Taxi-Apps etc.) heutzutage viele Informationen digital speichern, ermöglichen es die Auskünfte, Bewegungsprofile zu erstellen. Dafür musste keine gesteigerte Beobachtungsbedürftigkeit vorliegen, obwohl massiv in Grundrechte der betroffenen Bürger*innen eingegriffen wird. In dem im September 2024 bekanntgegebenen Beschluss folgt das Bundesverfassungsgericht unserer Auffassung und erklärt die Eingriffsschwellen für zu niedrig. Der Hessische Gesetzgeber muss nachjustieren. Dafür hat er bis Ende 2025 Zeit.
Ausufernde Übermittlung erhobener Daten durch den Nachrichtendienst
Im BayVSG-Urteil stärkt das Bundesverfassungsgericht das Trennungsprinzip zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Das Gericht setzt klare Schranken für den Informationsaustausch von nachrichtendienstlich erhobenen Daten. Was die Übermittlung von Daten an die Polizei betrifft, erfüllt das HVSG nach der Novelle von 2023 die Entscheidungsmaßstäbe. An andere Behörden dürfen jedoch immer noch unter sehr niedrigen Voraussetzungen Daten übermittelt werden. Behörden, die auf dieser Grundlage tätig werden, können ebenfalls massiv in die Grundrechte der Menschen eingreifen. Daten des Inlandsgeheimdienstes können beispielsweise an die Ausländerbehörde übermittelt werden. Die Behörde erhält damit Informationen, die sie für die Abschiebung der Betroffenen nutzen kann. Auf unsere erfolgreiche Verfassungsbeschwerde hin schärft das Bundesverfassungsgericht die Maßstäbe aus dem BayVSG-Urteil nach und erklärt die niedrigen Voraussetzungen für die Datenübermittlung in der HVSG-Novelle für verfassungswidrig.
Eingriffe in die Freiheitsrechte verhindern
Für einen ungewissen Gewinn an Sicherheit nehmen Landesregierungen schwerwiegende Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Kauf. Der Einsatz der GFF gegen einen Überwachungsstaat geht weiter. Schon 2023 hatte das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur automatisierten Datenanalyse im hessischen Polizeigesetz für verfassungswidrig erklärt. Auch gegen die Neuregelung haben wir im Juni 2024 Verfassungsbeschwerde erhoben.
Die Verfassungsbeschwerde wurde gemeinsam mit der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung erhoben und von fünf Beschwerdeführer*innen vorgebracht. Darunter waren neben dem HU-Regionalvorsitzenden Franz Josef Hanke auch die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, Klaus Landefeld als Vorstandsmitglied des Verbands der Internetwirtschaft eco und DE-CIX Aufsichtsrat sowie Silvia Gingold, Lehrerin in Ruhestand und Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Bevollmächtigter der Verfassungsbeschwerde war Prof. Dr. Tobias Singelnstein.