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Ein Monitor, worauf Daten in verschiedenen Schriftfarben sind Unsplash, Markus Spiske
Freiheit im digitalen Zeitalter
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Hessen reizt Big-Data-Analyse aus

Die Novelle des Hessischen Polizeigesetzes setzt die verfassungswidrigen Befugnisse für den polizeilichen Einsatz der Analysesoftware Hessendata fort. Wir erheben Verfassungsbeschwerde, um Data Mining endgültig auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen.

Die GFF erhebt im Juni 2024 Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Hessische Polizeigesetz. Zuletzt erreichte die GFF mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzliche Vorgängerversion erfolgreich im Jahr 2023 ein Grundsatzurteil in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht wies die automatisierte Datenauswertung (Data Mining) in die Schranken. Die gesetzliche Grundlage muss klare Vorgaben machen, unter welchen Voraussetzungen die Polizei mithilfe einer Software auf Knopfdruck Informationen und Querverbindungen zwischen Personen herstellen darf, um Straftaten zu verhindern. Noch im gleichen Jahr nach dem Urteil der Karlsruher Richter*innen erließ der hessische Gesetzgeber eine entsprechende Novelle. Statt umfangreich nachzubessern, sind die gesetzlichen Vorgaben schwammig und die Grundrechtsverletzungen setzen sich fort. Einen Großteil der Einsatzregeln soll sich die Polizei selbst geben.
Simone Ruf

Simone Ruf

Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF

„Wenn die Polizei eine Analysesoftware einsetzt und massenhaft Daten auswertet, dann darf der Schutz der Privatsphäre nicht aus den Augen verloren werden. Auch für den Einsatz komplexer Algorithmen gelten die engen Schranken des Grundgesetzes.“

Unbeteiligte weiterhin im Visier der Polizei

Trotz der klaren Vorgaben aus Karlsruhe erlaubt das Hessische Polizeigesetz - Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) - weiterhin auch die Daten vollkommen unbeteiligter Menschen in die Analysesoftware Hessendata einzuspeisen. Das kann zu falschen Verdächtigungen führen. Gerade die Daten aus Funkzellenabfragen können größtenteils einbezogen werden. In riesigen Mengen erfasst Hessendata immer noch Vorgangsdaten. Vorgangsdatensysteme sind nicht darauf ausgerichtet, danach zu unterscheiden, ob Personen Anlass für polizeiliche Überwachungmaßnahmen geben oder nicht. Sie müssen deshalb bei der Analyse insgesamt außen vor bleiben. Explizit bezieht die neue Regelung u.a. Daten aus Asservaten ein. Darunter können beispielsweise Laptops oder Smartphones sein, auf denen sich die Daten unbeteiligter Menschen befinden können.

So kann selbst eine einfache Nachfrage bei der Polizei, welche Daten über die eigene Person hinterlegt sind, zu einem späteren Zeitpunkt Teil der Analyse werden. Mit einem Knopfdruck greift die Polizei mit der Software in das Recht der Betroffenen ein, über ihre eigenen Daten zu bestimmen. Wenige Übereinstimmungen reichen bereits aus, auf deren Grundlage dann ggf. weitere heimliche Überwachungsmaßnahmen wie Observationen und Telekommunikationsüberwachung folgen können. Währenddessen haben Betroffene keine Möglichkeit sich gegen die massiven Grundrechtseingriffe zu wehren, da sie nichts davon mitbekommen. Oft trifft es ohnehin diskriminierte Gruppen, die in polizeilichen Datenbanken überrepräsentiert sind.

Ausufernde Datenanalysen komplett in den Händen der Ermittler*innen

Hessendata wird weit im Vorfeld einer Gefahr eingesetzt. Während im Zusammenhang mit Klima-Aktivismus die absurde Diskussion um eine kriminelle Vereinigung noch geführt wird, könnte bereits ein erworbener Kleber im Baumarkt, Anlass für die polizeiliche Analyse geben. Die Verlagerung des Softwareeinsatzes weit in das Vorfeld einer Tat, also bevor wirklich Rechtsgutsverletzungen drohen, ist klar verfassungswidrig.

Statt wirksam nachzubessern, verschiebt der hessische Gesetzgeber seine Regelungspflicht an die Polizei. Die Dienststellen sollen den Softwareeinsatz hauptsächlich selbst durch Verwaltungsvorschriften regeln. Änderungen sind damit ohne öffentliche parlamentarische Debatte schnell und lautlos möglich. Mit Blick auf die grundrechtsintensiven Eingriffsmöglichkeiten darf der hessische Gesetzgeber die Aufgabe nicht an die Beamt*innen abgeben. Mit dieser Verantwortungsverschiebung ist der verfassungsrechtliche Wesentlichkeitsgrundsatz verletzt. Die gewählten Parlamentarier*innen müssen selbst dafür sorgen, dass die Polizei nur unter engen Voraussetzungen durch solche Analysen in Grundrechte eingreifen darf. Sie müssen ihrer Aufgabe nachkommen, klare Regelungen zu erlassen.

Mit Blick auf die massiven Grundrechtseingriffe und die fehlende Möglichkeit der Betroffenen sich während der heimlichen Überwachungsmaßnahmen zu wehren, ist eine wirksame datenschutzrechtliche Kontrolle dringend erforderlich. So hat es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zu Data Mining vorgesehen. Der hessische Gesetzgeber kommt dem nicht nach. Weiterhin besteht keine Pflicht, dass mindestens ein*e Datenschutzbeauftragte*r des Landes die Analysen regelmäßig kontrolliert. Die fehlende Kontrollpflicht öffnet Tür und Tor für massive Grundrechtseingriffe.

Der Blick in die Glaskugel: Predictive Policing

Die Anlaysesoftware Hessendata basiert auf der Software Gotham der US-Firma Palantir. Die Firma wirbt für ihre Software mit dem Blick in die Zukunft und ebnet damit den Weg, aus vorhandenen polizeilichen Daten Vorhersagen abzuleiten (predictive policing). Ansätze davon zeigen sich bereits mit den Regelungen im hessischen Polizeigesetz, wie die weit ins Vorfeld einer Straftat gerückte Datenanalyse. Der hessische Gesetzgeber verneint zwar, dass Hessendata für den Blick in die Glaskugel genutzt werden soll, aber stellt bereits eindeutige Weichen in diese Richtung. Damit ist umso wichtiger, Hessendata endgültig auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen.

Aktivist*innen, Journalist*innen und Anwält*innen klagen

Zu den sechs Beschwerdeführer*innen aus Aktivist*innen, Journalist*innen und Anwält*innen gehören der Regionalvorsitzende der Humanistischen Union Franz Josef Hanke und die Anwältin Seda Başay-Yıldız. Beide sind bereits gemeinsam mit der GFF mit der 2019 erhobenen Verfassungsbeschwerde erfolgreich gegen Hessendata vorgegangen. Verfasst hat die Beschwerdeschrift Prof. Dr. Tobias Singelnstein.

Strategische Prozessführung gegen ausufernde Überwachungsmaßnahmen

Die Verfassungsbeschwerde zum novellierten Hessischen Polizeigesetz ist Teil der strategischen Prozessführung der GFF gegen ausufernde Überwachungsmaßnahmen auf der Grundlage riesiger Datenmengen. Gegen die nordrheinwestfälische Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gotham ist eine weitere Verfassungsbeschwerde der GFF anhängig. Die Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz, das noch mehr Daten für die Polizeiarbeit zulässt, erwartet die GFF noch in diesem Jahr.

Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts

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