Transparenzklagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz
Das Finanzministerium muss Beiratsprotokolle offenlegen: Gemeinsam mit "FragDenStaat" unterstützten wir Klagen für eine transparentere Politik und Verwaltung - mit Erfolg.
Die Aufgabe wissenschaftlicher Beiräte ist es, die Bundesregierung und genauer ihre Ministerien mit ihrer Expertise zu beraten. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) liefert dem Ministerium Einschätzungen zu steuerpolitischen Fragen, etwa zur Unternehmensbesteuerung aber auch zur Einkommensungleichheit in Deutschland. Daher ist die Arbeit des Beirates von großer gesellschaftlicher Relevanz – und doch blieb sie bisher weitgehend geheim. Denn der wissenschaftliche Beirat des BFM hat in seiner eigenen Satzung festgelegt, dass seine Protokolle vertraulich sind. Damit blieben auch Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erfolglos.
Um den politischen Einfluss des Beirates nachzuvollziehen, hatte der Wissenschaftler Moritz Neujeffski mit Hilfe der Transparenzplattform FragDenStaat.de die Sitzungsprotokolle der vergangenen zwanzig Jahre angefragt. Diese müssen nach dem IFG öffentlich zugänglich sein. Trotzdem wurden sie Neujeffski mit Verweis auf die Vertraulichkeit nach der neuen Satzung des Beirats verwehrt.
Ministerium wehrt gezielt Anfragen nach dem IFG ab
Dass die Protokolle des Beirats geheim bleiben, hat System: Um den eigenen Beirat vor IFG-Anträgen zu schützen, half die IFG-Abteilung des BMF dabei, die Satzung des Beirats anzupassen. Das belegt die Korrespondenz der Abteilung über die Satzungsänderung, die FragDenStaat.de ebenfalls angefragt hatte. Die Dokumente bestätigen, dass die für IFG-Anträge zuständige Abteilung im Februar 2018 einen Vorschlag zur Anpassung der Satzung an den wissenschaftlichen Beirat übersandte. Auf dieser Grundlage wurde die Satzung im März 2018 angepasst und § 9 um eine strikte „Verpflichtung zur Verschwiegenheit“ ergänzt. Auf dieser Grundlage verweigerte das BMF gegenüber Moritz Neujeffski und FragDenStaat.de die Herausgabe der Protokolle.
Dieses Vorgehen des BMF wiegt schwer. Es handelt sich um den gezielten Versuch eines Bundesministeriums, das Informationsfreiheitsgesetz zu umgehen. Der Fall verdeutlicht, warum es immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf, um das Informationsfreiheitsgesetz einzuschränken. Behörden darf es nicht offenstehen, die Gründe für eine Informationsverweigerung selbst zu entwickeln, in ihren Satzungen festzuhalten – und sich damit aus eigener Machtvollkommenheit und ohne gesetzliche Grundlage von der Transparenzpflicht des IFG zu befreien.
Ministerium verliert vor Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht
Mit Urteil vom 5. Mai 2022 entschied das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz, dass das BMF die Sitzungsprotokolle des wissenschaftlichen Beirats der vergangenen zwanzig Jahre herausgeben muss. Damit wurde der von der GFF unterstützten Transparenzklage in den wesentlichen Punkten stattgegeben.
Das Urteil, das in der amtlichen Entscheidungssammlung veröffentlicht wird, hat grundsätzliche Bedeutung. Das höchste Verwaltungsgericht stellt klar, dass ein besonderes Amtsgeheimnis stets einer formalgesetzlichen Grundlage bedarf. Denn sonst – so das Gericht – „hätte es die Exekutive in der Hand, unabhängig hiervon über den Inhalt und die Reichweite eines Amtsgeheimnisses ohne gesetzliche Grundlage selbst zu entscheiden“. Mit anderen Worten: Es reicht nicht aus, dass sich eine Behörde per eigener Satzung für geheim erklärt.
Das Urteil enthält noch zwei weitere wichtige Feststellungen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind. Erstens erkennt das Gericht indirekt an, dass der Anspruch auf Akteneinsicht durch das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz geschützt ist und die Einschränkung daher nur mit einer gesetzlichen Grundlage möglich ist. Zweitens hat das Gericht entschieden, dass auch die angeblich fehlende „Verfügungsberechtigung“ dem Zugang nicht entgegensteht. Dieses Kriterium wird häufig zu Unrecht Anträgen nach dem Informationsfreiheitsgesetz entgegengehalten. Das Bundesverwaltungsgericht stellt jetzt fest, dass sich die Frage der Verfügungsberechtigung überhaupt nicht stellt, wenn die Information nur bei einer einzigen auskunftsverpflichteten Behörde (hier dem Bundesfinanzministerium) vorhanden ist.
Weitere erfolgreiche Transparenzpatenschaften
- Transparenzpflichten der Hamburger Hochbahn AG (HH AG): Am 28.01.2020 entschied das Verwaltungsgericht Hamburg, dass die HH AG an das Hamburgische Transparenzgesetz (HambTG) gebunden ist. Auch dann, wenn das Land Hamburg öffentliche Aufgaben an Privatunternehmen überträgt, müssen Informationen über die Erfüllung dieser Aufgaben frei zugänglich sein. Das Urteil als PDF: Anerkenntnis-Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 28.01.2020
- Transparenzklage des Journalisten und Chefredakteurs von Netzpolitik.org, Markus Beckedahl: Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 13. Dezember 2018, dass Teile eines Kabinettsprotokolls vom Bundeskanzleramt herausgegeben werden müssen. Der Anspruch auf Herausgabe des Protokolls war Gegenstand eines seit 2012 dauernden Rechtsstreits. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz.
- Transparenzklage gegen die Stadtwerke Solingen: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschied am 5. September 2018, dass kommunale Unternehmen das Informationsfreiheitsgesetz nicht mit einer Vertraulichkeitsvereinbarung umgehen dürfen. Die Stadtwerke Solingen müssen daher öffentlich machen, wer ihre alten Trolleybusse gekauft hatte. Die Klägerin Nancy Waldmann berichtet.
Was sind Transparenzklagen?
Mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) von 2005 wurde erstmals der Grundsatz eingeführt, dass Bürger und Bürgerinnen einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, was ihre Bundesverwaltung macht. Für die meisten Bundesländer gibt es ähnliche Regelungen. So gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG:
Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
Früher bestand ein Auskunftsanspruch nur, wenn er ausnahmsweise ausdrücklich geregelt war. Damit hat sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: In der Regel muss die Auskunft erteilt werden, nur ausnahmsweise darf sie verweigert werden, etwa wenn Rechte Dritter betroffen sind oder wenn die Veröffentlichung der Information die öffentliche Sicherheit gefährden könnte. Diese Verweigerungsgründe sind ebenfalls im IFG geregelt.
Doch die Behörden sind oft zu geheimniskrämerisch mit ihren Informationen und verweigern zu Unrecht den Auskunftsanspruch. In diesem Fall kann innerhalb einer Monatsfrist Widerspruch und – falls auch dieser zurückgewiesen wird – anschließend Anfechtungsklage nach dem Informationsfreiheitsgesetz eingelegt werden.
Diese Klagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz nennen wir “Transparenzklagen”, da sie bei erfolgreicher Durchführung die Transparenz der Politik und Verwaltung in Deutschland erhöhen.
Was tut die GFF?
Die GFF unterstützte in den Jahren 2016 bis 2019 Transparenzklagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz in Zusammenarbeit mit “Frag den Staat”, einem Projekt der Open Knowledge Foundation.
“Frag den Staat” unterstützt Einzelpersonen und Organisationen dabei, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (oder einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung) zu stellen.