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Freiheit im digitalen Zeitalter
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Polizeigesetz Hessen verletzt Grundrechte

Die Novelle des Hessischen Polizeigesetzes verletzt Grundrechte aller Bürger*innen. Wir haben gegen das novellierte Gesetz von 2018 Verfassungsbeschwerde erhoben. Mit Erfolg: Im Februar 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht die hessische Befugnis zur automatisierten Datenauswertung für verfassungswidrig. Das Hessische Polizeigesetz ist mit einer Novelle 2023 angepasst worden.

Die GFF hat gemeinsam mit der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung eine Verfassungsbeschwerde gegen das Hessische Polizeigesetz eingelegt. Die Beschwerde richtete sich gegen eine Gesetzesnovelle (2018), welche die Überwachungsbefugnisse u.a. der Polizei massiv ausgeweitet hat. In Hessen dürfen die Behörden sogenannte Staatstrojaner einsetzen. Mit der Software Hessendata wurden personenbezogene Daten zentral und automatisiert ausgewertet. Diese automatisierte Datenauswertung war im Dezember 2022 Gegenstand einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Februar 2023 gab das Bundesverfassungsgericht unserer Beschwerde in weiten Teilen statt und erklärte die Befugnis zur automatisierten Datenauswertung für verfassungswidrig
Sarah Lincoln

Sarah Lincoln

Juristin und Verfahrenskoordinatorin

„Das Bundesverfassungsgericht hat der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.“

Hessen folgte 2018 der bundesweiten Entwicklung hin zu schärferen und oft grundrechtswidrigen Polizeigesetzen. Die Gesetzesnovelle vom 4. Juli 2018 gab der Polizei teils erweiterte, teils neue Möglichkeiten zur Überwachung informationstechnischer Systeme. So wurde die im Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) enthaltene Rechtsgrundlage für die Überwachung laufender Kommunikation (Quellen-TKÜ) erweitert sowie Rechtsgrundlagen für Online-Durchsuchungen und die Nutzung einer Big-Data-Analysesoftware geschaffen.

Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht: Gläserner Mensch durch Analysesoftware Hessendata

Im Fokus der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht im Dezember 2022 stand die automatisierte Datenanalyse mit Hilfe der Analysesoftware Hessendata der US-Firma Palantir. In die Datenanalyse fließen große Mengen personenbezogener Daten ein: Aus Polizeidatenbanken, aus der Telefonüberwachung, ausgelesene Handydaten aber auch externe Daten, beispielsweise aus den sozialen Medien oder von anderen Behörden angefragte Daten.

Mit der komplexen Datenanalyse will die Polizei Netzwerke und Strukturen durchleuchten, um künftige Straftaten zu verhindern. Wer in den Fokus einer Datenanalyse gerät, wird schnell zum gläsernen Menschen. Von der Analyse als „Beifang“ mitbetroffen sind zudem zahlreiche weitere Personen: Die gleiche Adresse oder der gleiche Fußballverein können schon ausreichen, damit die Software Verbindungslinien zieht.

Richter*innen fragten kritisch nach

Die Rechtsgrundlage für den Einsatz der Software ist extrem vage und lässt viele Fragen offen - das wurde auch in der Verhandlung deutlich, in der sowohl das Hamburgische als auch das Hessische Gesetz verhandelt wurden: Ist – wie nach Ansicht der jeweiligen Regierungsvertreter – die Automatisierte Datenauswertung nur die Fortsetzung klassischer Polizeiarbeit mit „mehr Power“? Oder begründet die Möglichkeit, riesige Datenpoole zusammenzuziehen, Verbindungen und Muster zu generieren eine ganz neue Eingriffsqualität, die auch entsprechend strenge Grenzen braucht? Die Hessischen Innenbehörden wurden nicht müde zu beteuern, dass keinerlei künstliche Intelligenz im Einsatz sei. Gegenstand des Verfahrens waren aber ja die Regelungen und die sind - wie heute immer wieder formuliert wurde - „technik-offen“. Was noch nicht ist, kann also – nach der Gesetzeslage – jederzeit noch werden.

Die vielen detaillierten Nachfragen des Gerichts zeigten, dass die Richterinnen und Richter die vagen Normen zur Automatisierten Datenauswertung ebenfalls kritisch sehen. Insbesondere stand an vielen Stellen die Frage im Raum, ob die Einhaltung der rechtlichen Grenzen überhaupt technisch umsetzbar ist. So bohrte das Gericht z.B. beim Stichwort „Zweckbindung“ nach: Einmal erhobene Daten dürfen nicht ohne weiteres für einen anderen Zweck weiterverwendet werden. Derzeit wird die Herkunft der Daten aber gar nicht gekennzeichnet – wie soll dann bei ihrer Weiterverarbeitung die Einhaltung der Zweckbindung funktionieren?

Ausgiebig beschäftigten sich die Richterinnen und Richter auch mit der Formulierung im Hessischen Gesetz, wonach die Automatisierte Datenauswertung nur in „begründeten Einzelfällen“ zulässig ist. Sie fragten genau nach, wie die Einhaltung kontrolliert wird und machten deutlich, dass sie im Gesetz zu wenige Anhaltspunkte dafür sehen, welche eingrenzenden Kriterien hier herangezogen werden sollen.

Bundesverfassungsgericht weist automatisierte Datenauswertung in die Schranken

Im Februar 2023 machten die Karlsruher Richter*innen in einem Grundsatzurteil deutlich: Die Polizei darf zwar grundsätzlich mithilfe einer Software auf Knopfdruck Informationen und Querverbindungen zu Personen herstellen, um Straftaten vorzubeugen (Data Mining). Dann muss das Gesetz aber klare Vorgaben dazu machen, unter welchen Bedingungen dies zulässig ist. Sonst verstoßen die Regelungen gegen das Recht über die eigenen Daten zu bestimmen. Wir hatten unter anderem angegriffen, dass die Rechtsgrundlage in Hessen völlig unklar lässt, aus welchen Quellen, mit welcher Datenmenge und zu welchem Zweck die Polizei die Befugnis zum Data Mining nutzen darf. Unsere Verfassungsbeschwerde hat das Risiko deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürger*innen in das Visier der Polizei geraten. Das Urteil entfaltet bundesweit Ausstrahlungswirkung: Viele andere Bundesländer und der Bund arbeiten darauf hin, vergleichbare technische Möglichkeiten einsetzen zu können – oder tun es sogar bereits, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.


Als Journalist wie auch in meinem Ehrenamt in der Humanistischen Union bin ich auf vertrauliche Kontakte angewiesen. Wenn keiner abschätzen kann, was die Polizei alles weiß und womöglich durch Datenverknüpfung erfährt, dann trauen sich manche Menschen nicht mehr, mit mir zu sprechen.
Franz Josef Hanke, HU-Regionalvorsitzender und Beschwerdeführer

Staatlicher Eingriff in Freiheitsrechte

Auch in Hessen geht die Ausdehnung von Polizei- und Verfassungsschutzbefugnissen mit gravierenden Eingriffen in die Freiheitsrechte einher. Daher haben wir uns 2019 in der Verfassungsbeschwerde zusätzlich gegen die weitreichenden Überwachungs- und Übermittlungsbefugnisse des hessischen Inlandsgeheimdienstes gewandt. Das Hessische Verfassungsschutzgesetz (HVSG) verletzt trotz einer Gesetzesänderung im Jahr 2023 weiterhin Grundrechte. Die gesetzten Maßstäbe aus dem von uns erreichten Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts für Inlandsgeheimdienste werden durch das HVSG nicht eingehalten. Unser Einsatz für die Grundrechte geht mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht weiter.

Die Verfassungsbeschwerde wurde von sieben Beschwerdeführer*innen vorgebracht. Darunter waren neben dem HU-Regionalvorsitzenden Franz Josef Hanke auch die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, Klaus Landefeld als Vorstandsmitglied des Verbands der Internetwirtschaft eco und DE-CIX Aufsichtsrat sowie Silvia Gingold, Lehrerin in Ruhestand und Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.

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WEITERE GFF-VERFAHREN GEGEN POLIZEIRECHTSVERSCHÄRFUNGEN IN DEN BUNDESLÄNDERN

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