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Stellungnahme zum neuen Berliner Versammlungsfreiheits-Gesetz

Mehr Raum für demokratische Beteiligung, dennoch droht Kriminalisierung von Demonstrierenden

Demonstrationen sind eine besonders lebendige, unmittelbare Form, die eigene Meinung in die Diskussion einzubringen. Die Versammlungsfreiheit ist daher für eine funktionierende Demokratie und eine vielfältige Zivilgesellschaft unentbehrlich. Ein modernes Versammlungsfreiheitsgesetz muss daher vor allem Versammlungen schützen und Demonstrieren (rechts)sicher machen – nicht neue Befugnisse und neues Strafrecht schaffen. Das betonen wir in unserer Stellungnahme zum
neuen Berliner Versammlungsfreiheits-Gesetz, das Mitte Februar 2021 beschlossen werden soll.

Der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hat am 25. Januar 2021 dem Gesetz zugestimmt. In der Anhörung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses vom 2. November 2020 hatten wir zu dem Entwurf Stellung genommen. Hier können Sie die Stellungnahme downloaden: Stellungnahme der GFF zur Öffentlichen Anhörung zum Antrag der SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen zum Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin.

Versammlung, Demonstration und Protest sind wesentliche Bestandteile einer Demokratie

In den Diskussionen um neue Versammlungsgesetze wird oft vergessen, warum der Protest im öffentlichen Raum für unsere Demokratie so elementar ist. Demokratie erschöpft sich nicht im Kreuzchen auf dem Stimmzettel. Wichtige gesellschaftliche Anliegen werden von sozialen Bewegungen in die Politik getragen – etwa die Bekämpfung der Klimakrise oder des institutionalisierten Rassismus. Gerade Interessen von Minderheiten, die nicht durch etablierte Verbände und Machtstrukturen vertreten sind, können sich durch öffentlichen Protest Gehör verschaffen. Die protestierende Zivilgesellschaft ist unser politisches Frühwarnsystem: Sie sorgt dafür, dass die Vielfalt und die Konflikte innerhalb der Gesellschaft sichtbar werden – und sie macht gesellschaftliche Veränderung wahrnehmbar.

Protest muss zugänglich und sicher sein

Dazu muss Protest aber leicht zugänglich und sicher sein. Alle Regelungen in einem Versammlungsgesetz müssen dahingehend überprüft werden, ob sie Abschreckungswirkung entfalten, ob sie also Menschen davon abhalten, auf die Straße zu gehen und ihre Meinung kundzutun. Ein versammlungsfreundliches Gesetz muss das Ziel verfolgen, Rechtsunsicherheiten, staatliche Überwachung, Kriminalisierung und Eskalationspotenziale zu minimieren.

Das Berliner Versammlungsgesetz schreibt Deeskalation und Kooperation fest

Zu begrüßen ist daher, dass das neue Berliner Gesetz die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Gesetzesform gießt. So schafft es Rechtssicherheit und wird anwendungsfreundlicher – für Demonstrierende und Polizei. Insbesondere sind die bewährte Polizeipraxis der Deeskalation und das bereits verfassungsrechtlich geltende Kooperationsgebot gesetzlich festgeschrieben und als Gebote formuliert worden. Die Stoßrichtung der Regelung von Demonstrationen auf privaten Flächen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, ist ebenfalls demokratiefreundlich. Protest an Orten wie Shopping-Passagen soll grundsätzlich erlaubt sein – ohne dass es die Zustimmung der Eigentümer*in bedarf.

Kriminalisierung von Demonstrierenden durch das Berliner Gesetz und staatliche Überwachung

Problematisch bleibt die Kriminalisierung von Demonstrierenden durch zahlreiche Normen des Nebenstrafrechts, etwa durch das Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot. Die deswegen erlaubten Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen wirken auf alle Teilnehmenden abschreckend. Neue Straftatbestände zwingen außerdem die Polizei zum Einschreiten. Das Verbot von Vermummungen ist ganz grundsätzlich nicht nachvollziehbar. Anonymität ist auch auf Versammlungen legitim – laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und UN-Menschenrechtsausschuss.

Außerdem hätten der staatlichen Überwachung deutlichere Grenzen gesetzt werden müssen. Das BVerfG hat mehrfach festgestellt, dass jegliche behördliche Registrierung abschreckend wirken kann. Solche Eingriffe wiegen noch schwerer, wenn Daten zur späteren Verwendung gespeichert werden. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Teilnahme an einer Versammlung typischerweise um ein besonders sensibles Datum handelt, weil sich daraus Rückschlüsse auf politische Auffassungen ziehen lassen. Eine Versammlung muss daher nach der Rechtsprechung des BVerfG ein staatsfreier und unreglementierter Raum sein.

Versammlungsgesetze der Bundesländer sollen Integrität der Versammlung in den Mittelpunkt stellen

Zukünftige Versammlungsgesetze der Länder sollten Wert darauf legen, die Integrität der Versammlung in den Mittelpunkt zu stellen. Rechtsunsicherheit, staatliche Überwachung, strafrechtliche Verfolgung und Eskalationspotenzial schrecken Menschen davon ab, auf die Straße zu gehen und ihr Recht auf öffentliche Meinungskundgabe wahrzunehmen. Das ist für jeden einzelnen ein schwerwiegender Eingriff. Und es wird zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem, weil wir unterschiedliche Interessen und gesellschaftliche Veränderungen nicht mehr wahrnehmen können. Im schlimmsten Fall werden so Teile der Gesellschaft aus dem demokratischen Diskurs gedrängt.

Hier können Sie die Stellungnahme downloaden: Stellungnahme der GFF zur Öffentlichen Anhörung zum Antrag der SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen zum Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin.

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