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GFF unterstützt FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott: Verfassungswidrige Strafnorm gefährdet die Pressefreiheit

Berlin, 5. Dezember 2023 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt Arne Semsrott, den Chefredakteur von FragDenStaat, in einem gegen ihn geführten Strafverfahren wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen. Jetzt reichen Strafverteidiger Lukas Theune, FragDenStaat und die GFF eine Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Ein Kernpunkt ist, dass die Strafnorm verfassungswidrig ist und gegen die Pressefreiheit verstößt.

Arne Semsrott hatte im August über die Ermittlungsmaßnahmen gegen die Letzte Generation und einen Journalisten des freien Radiosenders Radio Dreyeckland berichtet und im Zuge dessen mehrere relevante Gerichtsentscheidungen veröffentlicht. Er riskierte damit bewusst Strafanzeigen. Wenige Wochen später erfuhr Semsrott, dass die Staatsanwaltschaft Berlin gegen ihn Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Die einschlägige Strafnorm (§ 353d Nr. 3 StGB) verbietet ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens vor der Hauptverhandlung. Das erschwert die Berichterstattung über Strafverfahren und schränkt damit aus Sicht der GFF die Pressefreiheit unverhältnismäßig ein.

„Journalist*innen müssen über laufende Strafverfahren berichten können, ohne selbst ins Visier der Strafverfolgung zu geraten. Die Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedeutet ein zu hohes persönliches Risiko“, kritisiert Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine Entschlackung des Strafgesetzbuches angekündigt – da gehört auch diese Norm auf den Prüfstand!“

Semsrott hatte die Artikel am 22. August 2023 auf der Rechercheplattform FragDenStaat veröffentlicht und sich dabei vertieft mit den Argumenten der anordnenden Gerichte auseinandergesetzt. Dafür stellte er insgesamt vier der Beschlüsse aus den breit diskutierten Strafverfahren im Wortlaut zur Verfügung. Andere Medien sahen davon ab, die Beschlüsse zu veröffentlichen, zum Teil wiesen sie dabei ausdrücklich auf das Verbot hin.

„Es muss auch in laufenden Strafverfahren wie zur Letzten Generation erlaubt sein, bei öffentlichem Interesse aus amtlichen Dokumenten zu zitieren. Notfalls muss das Verfassungsgericht das klären!“, kritisiert der Beschuldigte Arne Semsrott.

Die Frage, inwieweit an den Beschlüssen von Staatsanwaltschaft oder Gerichten ein öffentliches Interesse besteht, fällt in den Kernbereich journalistischer Arbeit. Diese notwendige Abwägung wird an dieser Stelle durch das ausnahmslose strafbewehrte Veröffentlichungsverbot komplett verhindert. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) betonen in ihrer Rechtsprechung, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei und die Strafbarkeit kein Automatismus sein dürfe. Der BGH zog sogar die Verfassungsmäßigkeit der Norm konkret in Zweifel.

Der Einsatz der GFF im Verfahren gegen Arne Semsrott reiht sich ein in mehrere Verfahren, mit denen die Organisation zur Zeit für einen besseren Schutz der Pressefreiheit in Deutschland kämpft. Erst Anfang der Woche hatte die GFF mit Reporter Ohne Grenzen und zwei Journalisten Beschwerde beim Amtsgericht München wegen der Überwachung des Pressetelefons der Letzten Generation eingelegt.

Weitere Informationen zum Strafverfahren gegen Arne Semsrott und die Unterstützung durch die GFF finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/strafnorm_353d_pressefreiheit

Die Recherchen von Arne Semsrott finden Sie hier:
https://fragdenstaat.org/blog/2023/08/22/der-fehlende-link-radio-dreyeckland-beschluss/
https://fragdenstaat.org/blog/...


"Warum die Ver­öf­f­ent­li­chung von Gerichts­do­ku­menten nicht bestraft werden sollte": LTO/ Benjamin Lück
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/353d-stgb-reform-noetig-bgh-urteil-zitieren-urteil-presse/

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau, presse@freiheitsrechte.org
Tel. 030/549 08 10 55 – 01579/2493108

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