GFF stellt Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gegen überflüssige und gefährliche Übermittlung von Meldedaten für Zensus-Testlauf
Berlin, 10. Januar 2019 – Um die massenweise Übermittlung von Meldedaten im Rahmen eines Testlaufs für den Zensus 2021 zu verhindern, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) am Donnerstag einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt. „Es ist völlig überflüssig, für einen bloßen Test die Meldedaten von über 82 Millionen Menschen in Deutschland an einer Stelle zusammenführen“, sagt Malte Spitz, Generalsekretär der GFF und einer der Antragsteller. „Der Gesetzgeber ignoriert das erhebliche Risiko, dass sich Angreifer Zugang zu diesem gigantischen Datenschatz verschaffen.“ Der Antrag wurde in Kooperation mit den Aktivist*innen vom Arbeitskreis Zensus eingereicht und mittels Crowdfunding finanziert.
Zehn Jahre nach der letzten Volkszählung ist für das Jahr 2021 wieder ein Zensus geplant. Der Bundestag hat das dafür erlassene „Zensusvorbereitungsgesetz 2021“ im Dezember 2018 kurzfristig um einen Testlauf erweitert. Der neue Paragraf 9a ZensVorbG 2021 sieht nun vor, dass die Meldeämter in den Bundesländern dem Statistischen Bundesamt ab dem 13. Januar 2019 binnen vier Wochen zu allen in Deutschland gemeldeten Personen Datensätze mit jeweils 46 persönlichen Angaben (Name, Religionszugehörigkeit, Familienstand usw.) zur Verfügung stellen. Dadurch würden erstmals derart umfangreiche Datensätze von bis zu 82 Millionen Bürgern an einer zentralen Stelle zusammengeführt – ein attraktives Ziel für Angriffe und kriminelle Hacker und ein massiver Verstoß gegen datenschutzrechtliche Grundsätze.
Mit dem Test wollen die Behörden die Übermittlungswege und die Qualität der Daten überprüfen sowie die Programme für die Durchführung des Zensus 2021 testen und weiterentwickeln. Für diese Zwecke ist eine massenhafte Übermittlung der echten und nicht anonymisierten Meldedaten aller Menschen in Deutschland aber nicht erforderlich. „Es ist inakzeptabel, reale Daten für einen Test zu verwenden, wenn doch der Gebrauch von fiktiven Daten zu Testzwecken in der IT-Branche längst Standard ist“, sagt Spitz weiter. „Wenn die Behörden den Versand eines großen Datenvolumens testen wollen, sollen sie einen fiktiven, wenigstens aber einen anonymisierten Datensatz schaffen. Zum Test der Qualität der Daten genügt eine Stichprobe, die Gesamtdatei mit 82 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist nicht nötig.“ Die GFF kritisiert auch, dass die zu übermittelnden Datensätze sensible Informationen wie die Religionszugehörigkeit oder Ordnungsnummern enthalten. Ordnungsnummern sind Kennziffern, mit denen sich Verknüpfungen zwischen verschiedenen Personen, etwa Ehegatten, herstellen lassen.
Der Eilantrag ist erforderlich, weil die massenweise Datenübermittlung bereits in wenigen Tagen beginnen soll. „Wenn die zentrale Zusammenführung der Daten nicht verhindert wird, ist die damit verbundene Verletzung der Grundrechte der Bürger irreparabel“, sagt der Vorsitzende der GFF, Ulf Buermeyer. „Vor allem besteht dann über die vorgesehene zweijährige Speicherdauer das völlig überflüssige Risiko, dass sich Dritte die echten Daten von über 82 Millionen Menschen beschaffen. Es ist nämlich ganz und gar unklar, wer unter welchen Bedingungen welche Daten wie lange für welche genauen Arbeitsschritte nutzen darf und unter welchen technischen Bedingungen.“ Dieses Risiko abzuwenden wiege schwerer als der Zeitverlust, den eine einstweilige Anordnung zur Unterbindung des Testlaufs mit sich brächte. „Zumindest sollte das Bundesverfassungsgericht Vorgaben für eine datensparsame Anwendung von Paragraf 9a Zensusvorbereitungsgesetz formulieren“, ergänzt Buermeyer. „Wir haben dafür einen Vorschlag in Form eines Hilfsantrags gemacht, wonach der Testlauf mit anonymisierten Daten sowie einer Stichprobe aus echten Meldedaten durchzuführen ist.“
Die beantragte einstweilige Anordnung würde nur für einen beschränkten Zeitraum gelten. Die GFF plant deshalb auch eine Verfassungsbeschwerde gegen Paragraf 9a ZensVorbG 2021, um den Testlauf mit allen deutschen Meldedaten nicht nur vorläufig, sondern endgültig zu verhindern.
Den Eilantrag hat der Berliner Rechtsanwalt Benjamin Derin formuliert und eingereicht. Neben dem GFF-Generalsekretär Malte Spitz sind unter den Antragstellern vier Mitglieder des Arbeitskreises Zensus.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um Grund- und Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen zu verteidigen. Die GFF setzt sich mit ihren ersten Verfahren beispielsweise für die informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit ein. Zudem streitet sie für die Freiheit von Diskriminierung. Sie bringt dafür geeignete Kläger und Klägerinnen mit exzellenten Juristen und Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zu den aktuellen Projekten zählen Verfassungsbeschwerden gegen die automatisierte Passbildabfrage und gegen den massenhaften Einsatz von Staatstrojanern, zuletzt gegen das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg.
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