GFF klagt gegen Handydatenauswertung bei Geflüchteten
Berlin, Hannover, Stuttgart, 5. Mai 2020 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) koordiniert mehrere Klagen gegen die Handydatenauswertungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). „Das BAMF missachtet die hohen verfassungsrechtlichen Vorgaben, an die der Staat beim Zugriff auf persönliche Daten gebunden ist“ sagt Lea Beckmann, GFF-Juristin und Verfahrenskoordinatorin. „Gegen die Verletzung des Grundrechts auf digitale Privatsphäre klagen wir mit drei Personen - stellvertretend für Tausende Betroffene und durch alle Instanzen.“
Gegen die Handydatenauswertung geht die GFF gemeinsam mit drei Kläger*innen und deren Anwälten, Dr. Matthias Lehnert und Roland Meister, vor. Die Kläger*innen sind nach Deutschland geflohen und mussten dem BAMF ihre Mobiltelefone zur Auswertung überlassen. Einer von ihnen ist der 29-jährige Mohammad A. Er kommt aus Syrien und wurde 2015 als Flüchtling in Deutschland anerkannt. Im Jahr 2019 überprüfte das BAMF ohne Anlass alte Asylentscheidungen – einschließlich der, mit der Mohammed A. anerkannt wurde. Bei dieser Überprüfung hat das BAMF routinemäßig auch sein Smartphone ausgewertet. „Auf einmal hat der BAMF-Mitarbeiter zu mir gesagt, ich soll mein Handy rausgeben und entsperren. Ich wusste überhaupt nicht, was da genau passiert, man hat mir nichts erklärt“, berichtet Mohammed A. „Aber ich hatte Angst, abgeschoben zu werden. Also habe ich ihm das Handy gegeben. Das war, als würde ich mein ganzes Leben über den Tisch reichen.“ Die ursprüngliche, positive Entscheidung im Asylverfahren wurde aufrechterhalten.
Die Handydatenauswertungen sind seit einer Änderung des Asylgesetzes im Jahr 2017 erlaubt. Wenn eine asylsuchende Person weder Pass noch Passersatzdokument vorweisen kann, ist das BAMF dazu berechtigt, ihr Smartphone auszuwerten, um die Angaben der Person über ihre Identität und Herkunft zu überprüfen. Analysiert werden Kontakte, ein- und ausgehende Anrufe und Nachrichten, Browserverläufe, Geodaten aus Fotos sowie verwendete Emailadressen und Benutzernamen auf Plattformen wie Facebook oder booking.com. Ein konkreter Verdacht, dass die asylsuchende Person über ihre Identität oder ihr Herkunftsland lügt, ist nicht erforderlich. In einer im Dezember 2019 veröffentlichten Studie zeigte die GFF, dass diese Datenträgerauswertung kostspielig und intransparent ist und zudem kaum verwertbare Ergebnisse generiert. Im Ergebnis ist die Datenträgerauswertung verfassungswidrig und verletzt das Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (Grundrecht auf digitale Privatsphäre).
Die Auswertung von Handydaten durch das BAMF zeigt die Grenzen des Rechtsschutzsystems: Die Betroffenen haben praktisch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren – wegen Sprachbarrieren, weil sie kaum Informationen über ihre Rechte in Deutschland haben, und weil sie fürchten, ein Widerspruch könnte sich negativ auf ihr Asylverfahren auswirken, von dem ihre Zukunft abhängt. Zugleich kann nur das Bundesverfassungsgericht das Gesetz, das die Handyauswertung ermöglicht, für verfassungswidrig erklären und kippen. Der Weg dahin ist langwierig und kostspielig. Für die einzelne Person kommt Hilfe dann längst zu spät. „Mit unseren Klagen wollen wir helfen, die Rechtsschutzlücke zu schließen. Wir suchen auch noch nach weiteren betroffenen Personen, die mit uns klagen wollen“, sagt Beckmann.
Das Verfahren von Mohammad A. ist beim Verwaltungsgericht Hannover anhängig. Zudem klagte die GFF mit einer etwa 37-jährigen Frau aus Afghanistan vor dem Verwaltungsgericht Berlin sowie mit einer 25-jährigen Frau aus Kamerun vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart.
Weitere Informationen zu den Verfahren finden Sie hier.
Die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ finden Sie hier.
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Daniela Turß, ,
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