Polizeigesetz Baden-Württemberg: Einsatz von Staatstrojaner ist verfassungswidrig
Berlin/Stuttgart, 7. Dezember 2018 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat mit Unterstützung des Chaos Computer Club Stuttgart (CCCS) am Freitag in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das Polizeigesetz Baden-Württemberg eingelegt.
Die GFF kritisiert, dass die Regelung zum Einsatz von Staatstrojanern falsche Anreize für Polizeibehörden im Umgang mit IT-Sicherheitslücken setzt. Bei den Sicherheitslücken handelt es sich um technische Fehler in Soft- oder Hardware, über die Schadsoftware eindringen und so Daten ausgelesen werden können. Hersteller bemühen sich, solche Schwachstellen durch regelmäßige Updates zu schließen. Seit einer Gesetzesnovelle aus dem vergangenen Jahr, darf die Polizei in Baden-Württemberg IT-Sicherheitslücken für eine Späh-Software zur Überwachung ausnutzen, statt sie den Herstellern melden zu müssen. „Solange solche Schwachstellen der Polizei, aber nicht den Herstellern bekannt sind, können zum Beispiel auch Cyberkriminelle auf die Daten aller Nutzer*innen der gleichen Soft- oder Hardware zugreifen“, sagt die Juristin Lea Beckmann, die das Verfahren bei der GFF koordiniert. „Das ist unverantwortlich – und unvereinbar mit dem staatlichen Schutzauftrag gegenüber seinen Bürger*innen.“
Unter den Beschwerdeführern sind neben dem CCCS die Rechtsanwälte Dr. Udo Kauß und Michael Moos, die Journalisten Peter Welchering und Hinnerk Feldwisch-Drentrup, der Freiburger Online-Versandhandel zündstoff sowie die ISP Service eG, eine Einkaufsgesellschaft für Internet-Service-Provider. Sie sehen sich aus sehr unterschiedlichen Gründen einer hohen Gefahr von Cyberangriffen ausgesetzt – und befürchten vor allem bei einem Zugriff Konsequenzen auch für Dritte. Denn sie verantworten Daten für ihre Mandant*innen, Informant*innen oder Kund*innen. Sie rügen deshalb eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht, die sich aus dem Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme ableitet (sog. „IT-Grundrecht“).
Die verfassungswidrige Erweiterung der Befugnisse staatlicher Behörden ist in Deutschland kein Einzelfall. Die GFF hat sich deshalb bereits gegen ähnliche Regelungen in der Strafprozessordnung und im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz gewendet.
Zur Finanzierung der Verfassungsbeschwerde gegen das Polizeigesetz ruft die Bürgerrechtsorganisation die Öffentlichkeit zu Spenden auf: Zur Deckung der Kosten für dieses und weitere Verfahren in anderen Bundesländern benötigt die GFF einen Betrag von mindestens 25.000 Euro.
Die von Prof. Dr. Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum verfasste Verfassungsbeschwerde finden Sie hier.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um die Grund- und Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen zu verteidigen. Die GFF setzt sich mit ihren ersten Verfahren beispielsweise für die informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit ein. Zudem streitet sie für die Freiheit von Diskriminierung. Sie bringt dafür geeignete Kläger und Klägerinnen mit exzellenten Juristen und Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zu den aktuellen Projekten zählen Verfassungsbeschwerden gegen die automatisierte Passbildabfrage sowie die jüngste Novelle des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes.
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