
REFORMIERTES BND-GESETZ: NOCH MEHR MASSENÜBERWACHUNG STATT VERFASSUNGSKONFORME NEUREGELUNG
Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen ziehen wir gegen das reformierte BND-Gesetz vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Denn nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das wir im Dezember 2020 erstritten, enthält auch die Neuauflage des Gesetzes wieder verfassungswidrige Vorschriften.
Geheimdienste sind nur dann mit dem Rechtsstaat vereinbar, wenn sie grundrechtliche Grenzen einhalten. Nach unserer ersten Klage gegen das BND-Gesetz stellte das Bundesverfassungsgericht 2020 klar, dass das Grundgesetz deutsche Geheimdienste nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern weltweit bindet. Der BND darf daher die Kommunikation von Ausländer*innen im Ausland nur unter bestimmten Voraussetzungen massenhaft und anlasslos abgreifen und auswerten. Noch viel engere Grenzen müssen Geheimdienste beachten, wenn sie im Inland Menschen überwachen. Doch das geänderte BND-Gesetz schafft weitreichende neue Überwachungsbefugnisse ohne substantielle Hürden – und verstößt damit dutzendfach gegen die Grundrechte.
Massenhafte Ausspähung von Bürger*innen, Staatstrojaner, Ungleichbehandlung von Ausländer*innen
Eine der problematischsten Neuregelungen des BND-Gesetzes: Der BND darf nun auch deutsche Bürger*innen im Inland ausspähen. Mit der Befugnis zur geheimdienstlichen Totalerfassung sogenannter Maschine-zu-Maschine-Kommunikation dürfen große Teile der Online-Aktivitäten der Menschen in Deutschland verarbeitet und bis zu sechs Monate gespeichert werden. Nur die individuelle Kommunikation von natürlichen Personen ist ausgenommen – alle anderen digitalen Nutzungen, wie etwa das Aufrufen von Websites, Fahrkartenbuchungen oder die Nutzung von Online-Banking darf der Geheimdienst mitverfolgen. Erlaubt ist die Überwachung nicht etwa nur in konkreten Verdachtsfällen, sondern völlig anlasslos und damit massenhaft.
Neu eingeführt wird zudem die praktisch voraussetzungslose Befugnis zum Einsatz von Staatstrojanern gegenüber Ausländer*innen im Ausland. Das geänderte BND-Gesetz erlaubt es ohne nennenswerte Hürden, Smartphones zum Zwecke einer Online-Durchsuchung oder einer Quellen-Telekommunikations-Überwachung zu hacken. Der Gesetzgeber schafft damit die bisher niedrigste Eingriffsschwelle für den Einsatz von Staatstrojanern im deutschen Recht überhaupt.
Weiter werden Ausländer*innen mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland deutlich schlechter gestellt als Deutsche, denn sie können unbeschränkt überwacht werden, sobald sie Deutschland nur kurzzeitig verlassen – Deutsche sind hingegen umfassend geschützt. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht beide Gruppen gleichermaßen von der strategischen Überwachung durch den BND freihalten wollen.
Die Pressefreiheit ist vom neuen BND-Gesetz besonders betroffen. Eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht nach unserem erstrittenen Urteil einen besonderen Schutz für die Kommunikation von Journalist*innen gefordert. Laut dem neuen Gesetz sind für sogenannte Verkehrsdaten, also Informationen darüber, wann Journalist*innen mit wem kommunizieren, jedoch keinerlei Schutzmaßnahmen vorgesehen. Und die Kommunikation von Journalist*innen mit ihren Quellen ist nicht umfassend geschützt.
Auch viele weitere der modifizierten oder neugeschaffenen Befugnisse verstoßen eklatant gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das IT-Grundrecht. Klar verfassungswidrig sind etwa die weitreichende Überwachung von Unionsbürger*innen, die wir vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen möchten, sowie zahlreiche Bestimmungen zur Datenübermittlung durch den BND an in- und ausländische Stellen.
Unser Ziel: Überwachungslast im Inland und Ausland reduzieren
Insgesamt gilt für das BND-Gesetz in seiner jetzigen Fassung: Die Voraussetzungen sind zu gering, die Mittel der Überwachung zu undifferenziert ausgestaltet und der Adressat*innenkreis ist zu groß. Dabei werden sowohl die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich formulierten Maßstäbe missachtet als auch gänzlich neue Befugnisse geschaffen, die die Grundrechte der Betroffenen verletzen.
Zudem macht dieser Fall auch deutlich, dass Kritik durch Sachverständige in Gesetzgebungsverfahren ernster genommen werden muss. Das BND-Gesetz ist ein besonders frappierendes Beispiel dafür, dass umfangreiche fundierte Kritik am Gesetzentwurf praktisch vollständig ignoriert wurde. Unter anderem hatte Reporter ohne Grenzen einen umfassenden Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen zwischen Journalist*innen und Informant*innen gefordert. Ein Gesetz, das vertrauliche Kommunikation mit Quellen fast unmöglich macht, untergräbt und bedroht die Pressefreiheit – und damit einen Grundpfeiler der Demokratie.
Mit unserer gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen im Januar 2023 eingereichten erneuten Verfassungsbeschwerde wollten wir erreichen, dass die gravierenden Mängel des reformierten BND-Gesetzes behoben und die Befugnisse des BND auf ein verfassungskonformes Maß begrenzt werden. Doch das Bundesverfassungsgericht nahm unsere Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an und gab dafür keine Begründung. Daher erheben wir nun Beschwerdegegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Ziel der Beschwerde ist eine Feststellung durch den EGMR, dass das BND-Gesetz in der heutigen Fassung das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK), das auch das Fernmeldegeheimnis umfasst, sowie die Pressefreiheit (Art. 10 EMRK) verletzt.
Gesetzgeber muss Forderungen des Bundesverfassungsgerichts umsetzen
Wenn es notwendig ist, klagen wir auch mehrmals gegen das gleiche Gesetz. Wir hatten gehofft, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des Urteils von 2020 umsetzen würde, ohne neue Verfassungsverstöße einzubauen. Da das Ergebnis der Reform aber ein erneut verfassungswidriges Gesetz ist und das Bundesverfassungsgericht unserer Verfassungsbeschwerde nicht stattgab, bleiben wir dran und ziehen gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen erstmals vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Die Beschwerde zum EGMR verfasste Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der auch bereits beide Verfassungsbeschwerden gegen das BND-Gesetz verfasst hatte. Die GFF und RSF klagen als betroffene Organisationen selbst. Zu den weiteren Beschwerdeführer*innen gehören Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen wie Meron Estefanos und Goran Lefkov.
Immer wieder sind Klagen notwendig, um die deutschen Geheimdienste in ihre Schranken zu weisen. Das zeigen auch unsere erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz, unsere 2022 erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das G10-Gesetz und unsere 2024 erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das Bundesverfassungsschutzgesetz.