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Auf dem Foto sind Windräder auf Bergen zu sehen. Photo by Thomas Galler on Unsplash
Demokratie und Grundrechte
Art. 5

Staatliche Geodaten: Bayern missbraucht Urheberrecht, um Pressefreiheit einzuschränken

Bayern missbraucht das Urheberrecht um die Pressefreiheit einzuschränken. Gemeinsam mit dem Journalisten Michael Kreil gehen wir dagegen vor Gericht.

Gemeinsam mit dem Journalisten Michael Kreil erhebt die GFF negative Feststellungsklage gegen den Freistaat Bayern. Das bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung hatte eine Strafanzeige gegen den Journalisten gestellt, weil der einen vermeintlich urheberrechtlich geschützten Datensatz geografischer Daten im Internet veröffentlicht hatte. Auf Grundlage dieser Daten veröffentlicht Kreil jetzt eine Recherche in der Tageszeitung taz. Eine interaktive Karte zeigt, dass die restriktiven Vorschriften das Planen neuer Windkrafträder in Deutschland und speziell in Bayern nahezu unmöglich machen. Mit unserer Klage wollen wir vor dem Landgericht München klären, dass die Behörde die Nutzung der Datenbank nicht mit Verweis auf das Urheberrecht verbieten darf.
Joschka Selinger

Joschka Selinger

Rechtsanwalt und Verfahrenskoordinator

„Durch sein repressives Vorgehen setzt der Freistaat Bayern einen Journalisten unter Druck und gefährdet damit das Grundrecht auf Pressefreiheit. Der Staat sollte die Nutzung behördlicher Daten im öffentlichen Interesse unterstützen, anstatt sie durch den Missbrauch des Urheberrechts zu unterdrücken.“

In den meisten Bundesländern müssen Windräder einen Mindestabstand von 400 bis 1000 Metern von Wohnhäusern einhalten. In Bayern hingegen gilt die sogenannte 10H Regel. Die besagt, dass Windräder von Wohnhäusern zehnmal so weit entfernt sein müssen, wie das Windrad hoch ist. Bei einer Höhe von im Schnitt 200 Metern ist das ein Vielfaches von anderen Bundesländern. Regeln, die den Ausbau der dringend notwendigen Windenergie massiv erschweren.

In einer ausführlichen Recherche für die Tageszeitung taz hat der Datenjournalist Michael Kreil auf Grundlage der Hauskoordinaten-Datenbank berechnet, wie viele Flächen bei den restriktiven Regeln für den Bau von Windrädern übrigbleiben. Er kommt zu dem Schluss: Es sind viel zu wenige, um die angepeilten Klimaziele einzuhalten. Diese Information ist vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise von gesellschaftlicher Relevanz und gehört an die Öffentlichkeit.

Weil der Freistaat Bayern, statt die Verbreitung dieser Informationen zu unterstützen, bereits Strafanzeige gegen Kreil und gegen eine weitere Person wegen der Veröffentlichung der Daten gestellt hatte, strebt die Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Grundsatzentscheidung an, dass der Staat keine Exklusivrechte an Datensätzen geltend machen kann.

Öffentliches Geld, öffentliche Daten

Die Datenbank des Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Bayern (LDBV) enthält die amtlichen Hauskoordinaten und Hausumringe, also die genaue räumliche Position aller Gebäude in Deutschland. Diese Datenbank ist mit öffentlichen Mitteln finanziert. Sie besteht aus Daten, die die Landesbehörden im Rahmen ihres amtlichen Vermessungsauftrags erfassen. Die Hälfte der Bundesländer stellt diese Daten bereits jetzt als Open Data für alle zur freien Nutzung zur Verfügung. Das LDBV fügt diese Daten lediglich zusammen und ergänzt sie um Postleitzahlen.

Der Datenjournalist Michael Kreil hat diesen Datensatz online zugänglich gemacht. Der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV), erstattete daraufhin eine Strafanzeige gegen ihn. Der Grund: Die Daten seien durch das Datenbankherstellerrecht, eine spezielle Regelung im Urheberrecht, geschützt und dürften deshalb nicht verbreitet werden.

Das Datenbankherstellerrecht steht seit seiner Einführung in der Kritik. Außerhalb der Europäischen Union gibt es ein solches Schutzrecht nicht und es gibt erhebliche Rechtsunsicherheit, was genau damit eigentlich geschützt wird – denn reine Fakteninformationen können nicht urheberrechtlich geschützt werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in jüngeren Entscheidungen den Anwendungsbereich des Datenbankherstellerrechts folgerichtig immer weiter begrenzt. Insbesondere Behörden können sich nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung nur noch in Ausnahmefällen auf das Datenbankherstellerrecht berufen, die Gerichte in Deutschland haben diese Rechtsprechung bislang aber noch nicht rezipiert. Außerdem hat Deutschland vergangenes Jahr die Open-Data-Richtlinie der EU umgesetzt, die die Möglichkeiten öffentlicher Stellen, sich auf das Datenbankherstellerrecht zu berufen, ebenfalls ausdrücklich einschränkt.

Zensurheberrecht: Staat darf Pressefreiheit nicht unter Vorwänden einschränken

Das Vorgehen des Freistaats Bayern ist deshalb äußerst problematisch. Denn mit dem Versuch das Urheberrecht zu missbrauchen, um reine Fakten der Öffentlichkeit vorzuenthalten, wird nicht nur die Informationsfreiheit bedroht. Die Strafanzeige des Staats gegen einen Journalisten wegen der Veröffentlichung von Informationen kann auch als Einschüchterungsversuch gewertet werden und droht so die Pressefreiheit einzuschränken.

Damit reiht sich der Fall in die Tradition sogenannter SLAPPs ein. SLAPP (engl. Ohrfeige) steht für „Strategic lawsuit against public participation“, oder auf deutsch „Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung“. Mit solchen Klagen oder Strafanzeigen versuchen Unternehmen oder auch der Staat Akteur*innen der Zivilgesellschaft einzuschüchtern und so deren Engagement und ihre Arbeit zu unterbinden.

Urheberrecht dient dem Schutz Kreativer, nicht der Unterdrückung von Informationen

Das Urheberrecht ist ein Instrument, das kreativ tätigen Personen den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und eine faire Vergütung ihrer Arbeit ermöglichen soll. Wenn der Staat sich jedoch darauf beruft, um der Öffentlichkeit Fakten vorzuenthalten, die zudem aus öffentlichen Geldern finanziert wurden, dann grenzt das an Zensur. Hohe Lizenzkosten im fünf- bis sechsstelligen Bereich widersprechen klar einer gesellschaftlich gewünschten Nutzung dieser Informationen. Solch enorme Kosten machen es für Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und andere zivilgesellschaftliche Akteure nahezu unmöglich, die für ihre Arbeit grundlegenden Daten zu nutzen. Nur die Bereitstellung als Open Data stellt sicher, dass alle von diesen Informationen profitieren können.

Mit unserer negativen Feststellungsklage vor dem Landgericht München wollen wir die Veröffentlichung der Recherche unterstützen und damit klären, dass der Staat das Urheberrecht nicht als Druckmittel missbrauchen darf. Auch deutsche Behörden müssen sich an die neue Open Data-Gesetzgebung halten.

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