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Auf dem Foto ist ein Bild mit einer Überwachungskamera zu sehen. darunter steht Videoüberwachung. Photo by Markus Spiske on Unsplash
Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 10

REFORMIERTES BND-GESETZ: NOCH MEHR MASSENÜBERWACHUNG STATT VERFASSUNGS­KONFORME NEUREGELUNG

Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen erheben wir erneut Verfassungsbeschwerde gegen die verfassungswidrige Reform des BND-Gesetzes. Nach dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das wir im Dezember 2020 erstritten, enthält auch die Neuauflage des Gesetzes verfassungswidrige Vorschriften. Dagegen gehen wir vor Gericht.

2020 haben wir ein aufsehenerregendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten, das weite Teile der Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärte. Das vom Gesetzgeber daraufhin reformierte BND-Gesetz trat am 1. Januar 2022 in Kraft. Doch statt verfassungskonformer Neuregelung verletzt das BND-Gesetz schon wieder etliche Grundrechte von Menschen im Ausland – und sogar in Deutschland. Von hier lebenden Menschen darf der BND bestimmte Daten der Internetnutzung massenhaft auswerten, im Ausland dürfen Staatstrojaner praktisch voraussetzungslos eingesetzt werden und Ausländer*innen, die in Deutschland leben, werden ohne Grund schlechter gestellt als Deutsche. Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen und Investigativjournalist*innen aus ganz Europa erheben wir deshalb erneut Verfassungsbeschwerde. Deutsche Geheimdienste müssen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – sonst verlieren sie ihre Daseinsberechtigung.
Bijan Moini

Bijan Moini

Verfahrenskoordinator

Der BND muss sich auch im Ausland an unser Grundgesetz halten – das war die klare Botschaft des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zu unserer ersten Verfassungsbeschwerde. Es ist völlig unverständlich, dass die Novelle des Gesetzes Grundrechte erneut massiv verletzt: Mehr als 30 Punkte greifen wir an, über die Diskriminierung von Ausländer*innen über den Einsatz von Staatstrojanern bis zur anlasslosen Überwachung auch von Menschen in Deutschland.

Geheimdienste sind nur dann mit dem Rechtsstaat vereinbar, wenn sie grundrechtliche Grenzen einhalten. Nach unserer ersten Klage gegen das BND-Gesetz stellte das Bundesverfassungsgericht 2020 klar, dass das Grundgesetz deutsche Geheimdienste nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern weltweit bindet. Der BND darf daher die Kommunikation von Ausländer*innen im Ausland nur unter bestimmten Voraussetzungen massenhaft und anlasslos abgreifen und auswerten. Noch viel engere Grenzen müssen Geheimdienste beachten, wenn sie im Inland Menschen überwachen. Doch das geänderte BND-Gesetz schafft weitreichende neue Überwachungsbefugnisse ohne substantielle Hürden – und verstößt damit dutzendfach gegen die Grundrechte.

Massenhafte Ausspähung von Bürger*innen, Staatstrojaner, Ungleichbehandlung von Ausländer*innen

Eine der problematischsten Neuregelungen des BND-Gesetzes: Der BND darf nun auch deutsche Bürger*innen im Inland ausspähen. Mit der Befugnis zur geheimdienstlichen Totalerfassung sogenannter Maschine-zu-Maschine-Kommunikation dürfen große Teile der Online-Aktivitäten der Menschen in Deutschland verarbeitet und bis zu sechs Monate gespeichert werden. Nur die individuelle Kommunikation von natürlichen Personen ist ausgenommen – alle anderen digitalen Nutzungen, wie etwa das Aufrufen von Websites, Fahrkartenbuchungen oder die Nutzung von Online-Banking darf der Geheimdienst mitverfolgen. Erlaubt ist die Überwachung nicht etwa nur in konkreten Verdachtsfällen, sondern völlig anlasslos und damit massenhaft.

Neu eingeführt wird zudem die praktisch voraussetzungslose Befugnis zum Einsatz von Staatstrojanern gegenüber Ausländer*innen im Ausland. Das geänderte BND-Gesetz erlaubt es ohne nennenswerte Hürden, Smartphones zum Zwecke einer Online-Durchsuchung oder einer Quellen-Telekommunikations-Überwachung zu hacken. Der Gesetzgeber schafft damit die bisher niedrigste Eingriffsschwelle für den Einsatz von Staatstrojanern im deutschen Recht überhaupt.

Weiter werden Ausländer*innen mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland deutlich schlechter gestellt als Deutsche, denn sie können unbeschränkt überwacht werden, sobald sie Deutschland nur kurzzeitig verlassen – Deutsche sind hingegen umfassend geschützt. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht beide Gruppen gleichermaßen von der strategischen Überwachung durch den BND freihalten wollen.

Die Pressefreiheit ist vom neuen BND-Gesetz besonders betroffen. Eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht nach unserem erstrittenen Urteil einen besonderen Schutz für die Kommunikation von Journalist*innen gefordert. Laut dem neuen Gesetz sind für sogenannte Verkehrsdaten, also Informationen darüber, wann Journalist*innen mit wem kommunizieren, jedoch keinerlei Schutzmaßnahmen vorgesehen. Und die Kommunikation von Journalist*innen mit ihren Quellen ist nicht umfassend geschützt.

Auch viele weitere der modifizierten oder neugeschaffenen Befugnisse verstoßen eklatant gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das IT-Grundrecht. Klar verfassungswidrig sind etwa die weitreichende Überwachung von Unionsbürger*innen, die wir vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen möchten, sowie zahlreiche Bestimmungen zur Datenübermittlung durch den BND an in- und ausländische Stellen.

Unser Ziel: Überwachungslast im Inland und Ausland reduzieren

Insgesamt gilt für das BND-Gesetz in seiner jetzigen Fassung: Die Voraussetzungen sind zu gering, die Mittel der Überwachung zu undifferenziert ausgestaltet und der Adressat*innenkreis ist zu groß. Dabei werden sowohl die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich formulierten Maßstäbe missachtet als auch gänzlich neue Befugnisse geschaffen, die die Grundrechte der Betroffenen verletzen.

Zudem macht dieser Fall auch deutlich, dass Kritik durch Sachverständige in Gesetzgebungsverfahren ernster genommen werden muss. Das BND-Gesetz ist ein besonders frappierendes Beispiel dafür, dass umfangreiche fundierte Kritik am Gesetzentwurf praktisch vollständig ignoriert wurde. Unter anderem hatte Reporter ohne Grenzen einen umfassenden Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen zwischen Journalist*innen und Informant*innen gefordert. Ein Gesetz, das vertrauliche Kommunikation mit Quellen fast unmöglich macht, untergräbt und bedroht die Pressefreiheit – und damit einen Grundpfeiler der Demokratie.

Mit unserer gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen eingereichten Verfassungsbeschwerde wollen wir erreichen, dass die gravierenden Mängel des BND-Gesetzes behoben und die Befugnisse des BND auf ein verfassungskonformes Maß begrenzt werden.

Gesetzgeber muss Forderungen des Bundesverfassungsgerichts umsetzen

Wenn es notwendig ist, klagen wir auch zweimal gegen das gleiche Gesetz. Wir hatten gehofft, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des Urteils von 2020 umsetzen würde, ohne neue Verfassungsverstöße einzubauen. Da das Ergebnis der Reform aber ein verfassungswidriges Gesetz ist, bleiben wir dran und ziehen gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen erneut vor das Bundesverfassungsgericht. Die Verfassungsbeschwerde hat wieder Prof. Dr. Matthias Bäcker verfasst.

Immer wieder sind Klagen notwendig, um die deutschen Geheimdienste in ihre Schranken zu weisen. Das zeigen auch unsere erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz und unsere 2022 erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das G10-Gesetz.

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