Vielfalt in deutschen Gerichten auf dem Spiel
Das Kopftuchverbot für ehrenamtliche Richter*innen in Nordrhein-Westfahlen verletzt die Religionsfreiheit und ist diskriminierend. Die GFF erhebt Verfassungsbeschwerde, um die Grundrechtsverletzung zu beenden und ein klares Zeichen für gesellschaftliche Vielfalt im Schöff*innenamt zu setzen.
Die Beschwerdeführerin hatte sich 2023 in Nordrhein-Westfalen auf das Schöff*innenamt beworben und wurde für den Zeitraum 2024 bis 2028 als Jugendschöffin gewählt, um gemeinsam mit Berufsrichter*innen in Jugendstrafverfahren zu entscheiden. Nachdem sie mitteilte, dass sie aus religiösen Gründen auch während der Hauptverhandlungen ihr Kopftuch nicht ablegen könne, stellte das Amtsgericht (AG) Dortmund trotz der Eignung der Beschwerdeführerin für das Schöff*innenamt einen Antrag auf Amtsenthebung beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm.
Das OLG lehnte die Amtsenthebung ab, weil die Religionsausübung keine „gröbliche Amtspflichtverletzung“ sei. Das Gericht erklärte aber, dass Schöff*innen während einer Verhandlung keine religiösen Symbole tragen dürfen und sie durch das Tragen eines Kopftuchs für die Amtsausübung „unfähig“ seien. Begründet wird die Regelung im Justizneutralitätsgesetz mit dem staatlichen Neutralitätsgebot. Das zuständige AG Dortmund folgte der Auffassung des OLG und strich die Beschwerdeführerin von der Schöff*innen-Liste. Damit kann sie das Ehrenamt endgültig nicht ausüben.
Verfassungswidrige Rechtsgrundlage und der Beschluss des Amtsgerichts
Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber unterstellt mit dem Justizneutralitätsgesetz von 2021 allen Menschen, die nach ihrem Verständnis nur sichtbar ihre Religion ausüben können, dass sie nicht objektiv und unvoreingenommen auftreten bzw. nicht so wahrgenommen werden können. Empirische Belege wurden auch im Gesetzgebungsverfahren nicht angeführt. Das betrifft insbesondere Kopftuch tragende muslimische Frauen aber auch Kippa tragende jüdische Männer. So kommt es aufgrund von reproduzierten Vorurteilen und vagen Vermutungen zu gravierenden Grundrechtseingriffen wie im Fall der Beschwerdeführerin.
Zudem regelt der nordrhein-westfälische Gesetzgeber nicht, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen das Verbot religiöser Symbole hat. Vor diesem Hintergrund leitet das OLG Hamm eine Begründung aus dem Gerichtsverfassungsgesetz ab, die das AG Dortmund für eine Streichung von der Schöff*innenliste übernimmt. Sowohl die Vorschrift aus dem Justizneutralitätsgesetz als auch der pauschale Ausschluss unserer Beschwerdeführerin aus dem Schöff*innenamt sind verfassungswidrig und müssen von den Karlsruher Richter*innen dringend überprüft werden.
Staatliche Neutralität: ein unangemessener Maßstab für das Ehrenamt vor Gericht
Schöff*innen repräsentieren die Gesellschaft und entscheiden in Strafverfahren mit. Ihre Aufgabe ist es, ohne juristische Vorkenntnisse gemeinsam mit den Berufsrichter*innen eine Entscheidung in Strafsachen zu fällen und dabei ihre Lebenserfahrung und ihr Gerechtigkeitsempfinden einzubringen. Sie üben ein Ehrenamt aus und sind in Gerichtsverhandlungen als Repräsentant*innen der Gesellschaft eindeutig erkennbar, da sie als Richter*innen ohne Robe auftreten. Daher ist staatliche Neutralität kein Maßstab, der an Schöff*innen anzulegen ist. Einen pauschalen Ausschluss auf dem Prinzip staatlicher Neutralität aufzubauen, widerspricht dem gesetzlich verankerten Ziel des Ehrenamts. Schöff*innen stellen ein Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft dar und sollen eine lebensnahe und plurale Perspektive in den Gerichtssaal einbringen.
Gesellschaftliche Vielfalt in deutschen Gerichtssälen
Der pauschale Ausschluss von Muslima mit Kopftuch vom Schöff*innenamt darf keine Schule machen. Mit der Verfassungsbeschwerde wollen wir die diskriminierende gesetzliche Regelung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklären lassen. Wir hoffen auf ein Grundsatzurteil für die Religionsfreiheit, den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Religion und des Geschlechts.
Die Freiheit braucht auch Sie
Für die Grundrechte vor Gericht