Abschiebung in den Tod? Bundesverfassungsgericht ermahnt Bundesregierung zum Handeln bei Aufnahmeprogrammen aus Afghanistan
Berlin/Karlsruhe, 4. Dezember 2025 – Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat heute zu einer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützten Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen afghanischen Richters und seiner Familie entschieden: Die Bundesregierung müsse umgehend die Visa-Anträge der Familie bearbeiten. Dies sei überfällig. Denn die Abschiebung nach Pakistan in die Hände der Taliban steht bevor – und damit Lebensgefahr. Für die Betroffenen in Pakistan rennt die Zeit. Die pakistanische Regierung hat bereits angekündigt, alle Menschen mit deutscher Aufnahmezusage ab Januar 2026 abzuschieben.
„Nach drei Jahren in ständiger Angst hat die Familie immer noch keine Sicherheit vor Abschiebung und Folter – auch das Bundesverfassungsgericht schafft dazu trotz Lebensgefahr keine Klarheit“, sagt Mareile Dedekind, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF.
Die Bundesregierung muss ihrer bestehenden Verpflichtung nun umgehend nachkommen und über die Anträge entscheiden. Wie die Bundesregierung entscheiden soll, gibt das Bundesverfassungsgericht nicht vor und entzieht sich damit einer inhaltlichen Entscheidung.
„Nun muss die Bundesregierung ihr Schutzversprechen einlösen. Es ist aber zu befürchten, dass genau das Gegenteil geschieht: Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, dass sie Menschen mit Aufnahmeerklärung nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz nicht einreisen lässt“, sagt Mareile Dedekind.
Sollte die Bundesregierung die Visumsanträge ablehnen, wird die GFF Rechtsmittel einlegen.
Zum Hintergrund:
Ein ehemaliger oberster afghanischer Richter, seine Ehefrau und ihre vier Kinder haben mit Unterstützung der GFF Verfassungsbeschwerde und Eilantrag in Karlsruhe eingereicht. Ziel war die Erteilung eines vorläufigen Visums, um nach Deutschland einreisen zu dürfen.
Die Familie wartet in Pakistan, erhielt bereits im Dezember 2022 eine Aufnahmeerklärung der Bundesregierung. Lehnt die Bundesregierung ihren Visumsantrag ab, droht ihnen die die Abschiebung nach Afghanistan. Dort ist ihr Leben massiv gefährdet: Der Beschwerdeführer verurteilte als Richter Taliban-Mitglieder, musste nach deren Machtübernahme untertauchen und lebt seitdem mit seiner Familie in ständiger Bedrohung. Sein Vater wurde von einem ehemaligen Verurteilten ermordet.
„Jahrelang habe ich als Richter die Menschenrechte in Afghanistan verteidigt. Auf die Zusage von Deutschland habe ich mich verlassen – doch jetzt werden meine Familie und ich nicht vor Folter und Tod geschützt“, erklärt der Beschwerdeführer.
Die Familie wird von Rechtsanwalt Julius Becker vertreten.
Die Aussetzung der Programme betrifft nicht nur diese Familie: Rund 1.900 Afghan*innen mit Aufnahmezusage warten derzeit in Pakistan unter prekären Bedingungen. Sie sind von Abschiebung bedroht, seit die pakistanischen Behörden ihre Visa nicht mehr verlängern und Betroffene in den GIZ-Unterkünften festnehmen. Tagsüber verstecken sie sich in Wäldern, um den gewaltsamen Festnahmen durch die pakistanischen Sicherheitskräfte zu entgehen. Viele wurden bereits nach Afghanistan abgeschoben und verstecken sich dort vor den Taliban. Einige von ihnen sind schon in die Hände der Taliban geraten.
Weitere Informationen zum Verfahren finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/aufnahmeprogramm
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