
Aufnahmeprogramm Afghanistan: Deutschland muss Schutzzusage einhalten
Die Bundesregierung muss Wort halten und Afghan*innen mit Aufnahmezusage vor der Abschiebung in die Lebensgefahr schützen. Die GFF klagt vor dem Bundesverfassungsgericht auf Erteilung eines Visums.
Wenn die Bundesregierung gefährdeten Afghan*innen die Aufnahme zusagt und diese zur Durchführung des Visumsverfahren in Pakistan unterbringt, dann erwächst daraus eine grundrechtliche Verpflichtung diese Menschen zu schützen. Sie kann sich nicht nach zweieinhalb Jahren ohne sachlichen Grund davon lösen und die Menschen sehenden Auges an die Taliban ausliefern lassen, wo ihnen Folter und Tod drohen.
Deutschland gibt Aufnahmeerklärung ab
Der Beschwerdeführer war bis zur Machtergreifung der Taliban Richter in Afghanistan und verurteilte in dieser Funktion eine Vielzahl von Taliban-Mitgliedern. Darunter sind Taliban, die heute hochrangige Positionen innerhalb der politischen und militärischen Strukturen bekleiden. Nach deren Machtübernahme erhielt er Morddrohungen und musste untertauchen. Einer der ehemals Verurteilten entführte und tötete den Vater des Beschwerdeführers. Seitdem lebt die Familie in ständiger Bedrohung. Ende 2022 teilte die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) dem Beschwerdeführer mit, dass das Bundesinnenministerium für ihn und seine Familie eine Aufnahmeerklärung nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz abgegeben hat.
Die Familie richtete daraufhin in Erwartung der Einreise nach Deutschland ihr ganzes Leben und ihre Lebensperspektive auch für ihre Kinder auf die Durchführung des Visumsverfahrens aus. Sie beantragten entsprechend den Hinweisen in der Aufnahmeerklärung ein pakistanisches Visum. Um die Ausreise nach Pakistan zu finanzieren, verkauften sie ihr Haus und alle übrigen Vermögensgegenstände in Afghanistan. In Islamabad begab sich die Familie in die Obhut der GIZ in einem Gästehaus und lebt dort seither unter widrigen Umständen. Seit Auslaufen ihres Visums im April 2023 und der drohenden Abschiebung – also mehr als zwei Jahre lang – verließen sie die Unterkunft aus Angst vor einer Abschiebung und auf Geheiß der GIZ überhaupt nicht. Trotz positiver Sicherheitsprüfung und Einreichung aller Unterlagen wurden ihre Visa nicht erteilt. Im Mai 2025 erklärte die Bundesregierung den Stopp sämtlicher Aufnahmeprogramme und suspendierte die Aufnahmeerklärung. Der Familie droht nun unmittelbar, nach Afghanistan abgeschoben zu werden und in die Hände der Taliban zu fallen. Mitte August 2025 schoben pakistanische Behörden andere durch die GIZ untergebrachte Schutzsuchende ab. Seitdem hält sich die Familie tagsüber in öffentlichen Parks, Grünanlagen oder Wäldern versteckt, um dem Zugriff der pakistanischen Polizei zu entgehen.
Eilantrag und Verfassungsbeschwerde: Aufnahmeerklärung bindet
Im Juni erhob die Familie in Deutschland Klage und Eilantrag auf Erteilung eines Visums und bekam vor dem Verwaltungsgericht Berlin recht: Aus der Aufnahmeerklärung folge ein Anspruch auf Erteilung eines Visums. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hob den Beschluss im August wieder auf. Die Aufnahmeerklärung sei eine unverbindliche politische Entscheidung, von der sich die Bundesregierung jederzeit und ohne Gründe lösen könne. Wir haben gegen diesen Beschluss beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag und eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Wir argumentieren, dass die Aufnahmeerklärung die Bundesregierung bindet und stützen uns auf den grundrechtlich verankerten Vertrauensschutz und die staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Bundesrepublik Deutschland hat gegenüber den Beschwerdeführenden schriftlich die Aufnahme erklärt, sie zur Ausreise nach Pakistan und zum Betreiben des Visumsverfahrens angeleitet und sie seit zweieinhalb Jahren in einer Unterkunft der GIZ untergebracht. Im Vertrauen auf die Zusage hat die Familie ihr Haus und sämtliches Vermögen verkauft, um die Ausreise und das Visumsverfahren zu finanzieren und sich aus der Deckung ihres Verstecks in Afghanistan begeben. Es gab für die Familie keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Einreise trotz der Aufnahmezusage – vorbehaltlich einer erfolgreichen Sicherheitsprüfung – nicht möglich sein würde.
Grundrechtliche Schutzpflicht der Bundesregierung
Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die Aufnahmeerklärung und die Inobhutnahme in Pakistan für den Schutz und das Wohlergehen der Beschwerdeführenden in einem solchen Maße Verantwortung übernommen, dass daraus im konkreten Fall eine grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erwächst. Das gilt umso mehr, weil der Familie durch die Auslieferung von Pakistan an die Taliban nun eine noch schwerwiegendere Gefahrensituation als vor ihrer Ausreise droht.
Die Aussetzung der Aufnahmeprogramme betrifft nicht nur diese Familie: Rund 1.900 Afghan*innen mit Aufnahmezusage warten derzeit in Pakistan unter prekären Bedingungen. Seit die pakistanischen Behörden ihre Visa nicht mehr verlängern und Betroffene in den GIZ-Unterkünften festnehmen sind sie täglich von Abschiebung bedroht.
Der Rechtsanwalt Julius Becker vertritt die Kläger*innen vor Gericht.
Die Arbeit an diesem Projekt wird durch die Stiftung Mercator gefördert.
