Etappensieg vor den Vereinten Nationen: Deutschland muss Geflüchtetem Existenzminimum sichern
Berlin, 30. Oktober 2025 - Auf eine Individualbeschwerde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hin fordert der UN-Sozialausschuss Deutschland jetzt zum Handeln auf: Der Beschwerdeführer soll existenzsichernde Leistungen von Essen bis Unterkunft bekommen – und zwar noch vor Abschluss des laufenden Individualbeschwerdeverfahrens. Als sogenannter Dublin- Geflüchteter sind ihm die Leistungen zuvor gestrichen worden. Ziel des Verfahrens ist, den Leistungsausschluss und damit die menschrechtsverletzende Praxis in Deutschland zu stoppen. Mit dem Beschwerdeführer sowie in Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Dr. Christian Scheibenhof und dem Flüchtlingsrat Thüringen gelingt der GFF ein Etappensieg mit dem neuen Rechtsinstrument der Individualbeschwerde.
„Der internationale Blick ist jetzt auf Deutschland gerichtet. Schutzsuchende landen auf der Straße und leben in Armut. Die Vereinten Nationen signalisieren Deutschland hier deutlich, dass soziale Menschenrechte bedroht sind“, betont GFF-Juristin und Verfahrenskoordinatorin Lena Frerichs.
Seit Ende Oktober 2024 schließt das Asylbewerberleistungsgesetz sogenannte Dublin-Geflüchtete von Leistungen aus. Betroffen sind Geflüchtete, die ihren Asylantrag zunächst in einem anderen EU- Staat gestellt haben. Obwohl diese Länder formal zuständig sind, ist eine eigenständige Ausreise dorthin selten möglich – auch im Fall des Beschwerdeführers. In der Praxis streichen die Behörden Leistungen oft, ohne die tatsächliche Ausreisemöglichkeit zu prüfen. Nach einer zweiwöchigen Übergangsfrist erhalten Betroffene nur noch Härtefallleistungen, wobei Obdachlosigkeit nicht als Härtefall anerkannt wird. Seit Februar 2025 lebt der Beschwerdeführer in Thüringen auf der Straße. Kurz vor Winterbeginn haben die Vereinten Nationen Deutschland aufgefordert, ihm Unterkunft, medizinische Versorgung und Verpflegung zu gewähren.
Dies ist das erste Individualbeschwerdeverfahren zum UN-Sozialpakt gegen Deutschland. Seit Juli 2023 gibt es dieses Verfahren. Der Sozialpakt verpflichtet die Vertragsstaaten u.a. dazu, allen Menschen eine grundlegende Gesundheitsversorgung und sichere Unterkunft zu ermöglichen. Die Rechte aus dem Pakt gelten unabhängig von rechtlichem Status und Papieren. Im weiteren Verfahren wird der UN-Sozialausschuss prüfen, ob Menschenrechte aus dem UN-Sozialpakt durch den Leistungsausschluss verletzt sind.
Zuvor konnte die GFF im April 2025 in zwei Eilverfahren Erfolge erzielen: Das Sozialgericht Hamburg erklärte den Leistungsausschluss für rechtswidrig. Bundesweit folgten Gerichte dieser Auffassung und kippten den Ausschluss aufgrund verfassungs- und europarechtlicher Bedenken. Trotzdem gehört der Leistungsausschluss weiterhin zur behördlichen Praxis.
Währenddessen plant die Bundesregierung die nächste Verschärfung im Zuge der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Am 3. November 2025 findet eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (GEAS-Anpassungsgesetz) statt. Laut Entwurf sollen Behörden offiziell nicht mehr prüfen müssen, ob die Ausreise im Einzelfall tatsächlich möglich ist. Die GFF geht weiter gegen die migrationspolitische Härte vor, die nicht im Einklang mit nationalen und internationalen Menschenrechten steht.
Weitere Informationen zum Verfahren finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/existenzielle-not
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