
Leistungsausschluss drängt Geflüchtete in existenzielle Not
Geflüchtete, deren Asylverfahren eigentlich in einem anderen EU-Staat laufen soll, bekommen in Deutschland keine Sozialleistungen. Das ist eine dreifache Rechtsverletzung: EU-Recht, Grundrechte und Völkerrecht sind betroffen! Wir wehren uns: vor Gericht und vor dem Sozialausschuss der Vereinten Nationen – gegen einen Ausschluss, der Menschen in Obdachlosigkeit und Not drängt.
Worum es beim Leistungsausschluss geht
Seit Ende Oktober 2024 gilt aufgrund einer Neuregelung im Asylbewerberleistungsgesetz ein Leistungsausschluss für sogenannte Dublin-Flüchtlinge. Betroffen sind Personen, die zuerst in einen anderen Mitgliedstaat der EU eingereist und dann nach Deutschland weitergereist sind. In diesen Fällen ist das jeweilige Einreiseland für das Asylverfahren zuständig. Deutschland könnte diese Personen in das Einreiseland überstellen, wenn dort wesentliche Rechte gesichert sind, tut es jedoch nur sehr selten ( Dublinüberstellungen 2024, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.). Stattdessen werden Betroffenen seit der Neuregelung in Deutschland nun die Sozialleistungen entzogen, damit sie – statt in Armut zu leben – selbständig zurückkehren. Eine solche Ausreise ist den Betroffenen, die keine Unionsbürger*innen sind, im Regelfall gar nicht möglich. Die ganze Organisation dieser Ausreise liegt in der Hand der Behörden in Deutschland und im Einreisestaat. Vor allem aber, braucht sie Zeit. Dennoch erkennt die Neuregelung den Menschen pauschal nach einer zweiwöchigen Übergangsfrist, in der sie bereits deutlich reduzierte Leistungen bekommen, ihr Recht auf ein Minimum sozialer Sicherheit ab. Sie erhalten nur noch Leistungen in extremen Härtefällen, wobei etwa die Obdachlosigkeit nicht als solcher Härtefall anerkannt wird. Betroffene werden obdach- und mittellos – und das nur aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, denn niemand schaut genau hin, ob ihnen eine Ausreise tatsächlich möglich ist.
Sehenden Auges in die Grundrechtsverletzung
Bereits im Gesetzgebungsverfahren im September 2024 wiesen GFF-Expert*innen (auf die drohenden Rechtsverstöße hin und machten deutlich, dass den Betroffenen in der Praxis Obdachlosigkeit und Verelendung drohen ( zur schriftlichen GFF-Stellungnahme im Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestags). Der seit Ende Oktober 2024 geltende Leistungsausschluss im Asylbewerberleistungsgesetz verletzt die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums. Das menschenwürdige Existenzminimum garantiert die unbedingt erforderlichen Mittel für ein würdevolles Leben. Dieses Menschenrecht gilt für alle Menschen, die sich nicht selbst ausreichend versorgen können. Es steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu – das betonte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 ( zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts).
Mit europäischem Recht unvereinbar
Der Leistungsausschluss verstößt außerdem gegen die geltende europäische Aufnahmerichtlinie ( Richtlinie 2013/33/EU). Die Richtlinie sieht vor, dass immer der EU-Staat, in dem sich die schutzsuchende Person befindet, für einen angemessenen Lebensstandard sorgen muss. Solange Geflüchtete in Deutschland sind, muss also auch Deutschland ihren Lebensunterhalt sicherstellen. Das Bundessozialgericht hält bereits eine Leistungskürzung der Betroffenen für voraussichtlich unvereinbar mit der Richtlinie ( EuGH, C-621/24) – wenn aber schon eine Kürzung der Leistungen die Richtlinie verletzen sollte, dann erst recht die vollständige Streichung von Leistungen.
Missachtung verbindlicher sozialer Mindeststandards der Vereinten Nationen
Die Neuregelung missachtet außerdem den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ( Sozialpakt ICESCR, Deutsches Institut für Menschenrechte). Der sogenannte Sozialpakt verpflichtet Staaten dazu, einen diskriminierungsfreien Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten zu gewährleisten. Dazu gehört der Zugang zu einem Sozialsystem, das allen Einzelpersonen und Familien in wirtschaftlicher Not ein Mindestmaß an wesentlichen Leistungen bietet. Sie müssen zumindest eine grundlegende Gesundheitsversorgung, Unterkunft, Wasser, sanitäre Einrichtungen, Lebensmittel und Bildung erhalten. Die Rechte aus dem Pakt gelten für alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und ihren Papieren. Die Sozialpaktrechte haben den gleichen Rang wie jedes deutsche Bundesgesetz und sind bei der Interpretation von deutschen Gesetzen immer zu beachten.
Erfolg in zwei Eilverfahren
Das Sozialgericht Hamburg stellt im April 2024 in zwei Eilverfahren, die wir gemeinsam mit Rechtsanwältin Malena Bayer geführt haben, klar: Solange eine freiwillige Ausreise nicht tatsächlich zeitnah möglich ist, ist der Leistungsausschluss rechtswidrig ( S 7 AY 196/25 ER und S 5 AY 195/ER). In Hamburg erhalten Betroffene freiwillige Leistungen der Behörde in deutlich reduziertem Umfang. Auch hier prüft das Amt vorher nicht, ob eine zeitnahe Ausreise tatsächlich möglich ist. Diese Behördenpraxis ist ein klarer Verstoß gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Seitdem sind auch auf Grundlage der Hamburger Entscheidung zahlreiche gerichtliche Entscheidungen ergangen, die den Antragsteller*innen Recht geben und volle Leistungen zusprechen ( hier eine Übersicht bei der GGUA Flüchtlingshilfe). Insbesondere hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 13. Juni 2025 ( L 8 AY 12/25 B ER) dazu mit Verweis auf die Hamburger Rechtsprechung den Grundrechtsschutz gestärkt!
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat ihre Verwaltungspraxis bisher nicht angepasst. Das ist ein klarer Verstoß gegen ihre Bindung an Recht und Gesetz.
Individualbeschwerde bei den Vereinten Nationen
Am 29. September 2025 haben wir die erste Individualbeschwerde aus Deutschland bei den Vereinten Nationen eingelegt. Wenn deutsche Gerichte keine rechtzeitige Hilfe bieten, können sich Menschen in Deutschland seit Juli 2023 mit ihren Rechten aus dem Sozialpakt an den Sozialausschuss der Vereinten Nationen wenden. Bislang hat niemand von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht – wir tun es jetzt, setzen damit ein Zeichen für soziale Menschenrechte und zeigen: Es ist machbar!
Gemeinsam mit einem zwanzigjährigen Betroffenen aus Thüringen, führen wir ein Verfahren gegen den Leistungsausschluss. Er ist aus Syrien vor dem Krieg geflohen und über Malta in die EU eingereist. Im Sommer letzten Jahres ist er in Deutschland angekommen, wo drei seiner Tanten leben. Nach der Ablehnung seines Asylantrags, weil nach EU-Recht allein Malta darüber entscheiden darf, wurden ihm die Sozialleistungen vollständig gestrichen. Ob es ihm tatsächlich möglich ist auszureisen, hat die Behörde hierbei nicht geprüft.
Mitte Februar musste er die Unterkunft verlassen und seine Gesundheitskarte abgeben. Seitdem ist er obdachlos. Er lebt von Spenden von Freunden und Freiwilligen, die jedoch nicht verhindern können, dass er nachts oft keinen sicheren Ort zum Aufenthalt hat. In einer Gemeinde, in der über 40 % bei der letzten Bundestagswahl die AfD gewählt haben, ist die Situation für einen Geflüchteten besonders belastend und angsteinflößend. Er hat oft tagelang nichts zu essen, keine ausreichend warme Kleidung für die zunehmend kälteren Nächte und keinen Zugang zu Waschmöglichkeiten – eine Situation, die ihn körperlich und seelisch stark belastet. Es widerspricht seinem Selbstverständnis, auf Spenden angewiesen zu sein, jedoch sieht er keinen Ausweg.
Unterstützt von einem engagierten Rechtsanwalt, hat er bereits vor dem Sozialgericht Gotha und dem Thüringer Landessozialgericht versucht in Eilverfahren gegen den Leistungsausschluss vorzugehen. Soweit bekannt, ist das Thüringer Landessozialgericht jedoch das einzige Landessozialgericht, das den Leistungsausschluss für rechtmäßig hält ( Thüringer LSG, Beschluss vom 16.5.2025, L 8 AY 222/25 B ER).
Gemeinsam mit der GFF ist der Betroffene zum Bundesverfassungsgericht gezogen, das uns jedoch mit Beschluss vom 30. Juni 2025 darauf verwies, am Verwaltungsgericht Meiningen ein Verfahren zum Aufenthaltsstatus des Betroffenen zu führen ( 1 BvR 1200/25). Auch das haben wir getan und dort wegen der insofern klaren Rechtslage im Asylrecht verloren (VG Meiningen, Beschluss vom 4.9.2025, 9 K 1830/25 Me, unveröffentlicht).
Nun ist der Weg frei und wir haben Individualbeschwerde bei den Vereinten Nationen gegen den Leistungsausschluss erhoben. Wir beantragen darin sowohl schnelle Unterstützung für den Betroffenen, aber auch die Abschaffung des Leistungsausschlusses. Dazu können die Vereinten Nation Deutschland auffordern, sollte unsere Beschwerde Erfolg haben. Der Leistungsausschluss verletzt den jungen Mann in seinem Recht auf soziale Sicherheit (Art. 9 des Sozialpaktes), auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 11 des Sozialpaktes), auf Gesundheit (Art. 12 des Sozialpaktes) und darauf, dass diese Rechte ohne Diskriminierung aufgrund seines Aufenthaltsstatus ausgeübt werden können (Art. 2 Abs. 2 des Sozialpaktes).
Verfassungswidrige Migrationspolitik stoppen
Derzeit plant der Gesetzgeber eine weitere Verschärfung: Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt bereits vor (
Gesetzentwurf vom 3.9.2025). Das neue Gesetz soll ausdrücklich klarstellen, dass Behörden nicht mehr verpflichtet sind zu prüfen, ob eine Ausreise im Einzelfall überhaupt möglich ist. Doch das ist der falsche Weg – Grund- und Menschenrechte lassen sich auch nicht durch härtere Gesetze aushebeln. Wer hier ist, hat Anspruch auf jedenfalls ein Minimum an sozialer Sicherheit! Viel zu pauschale Leistungsausschlüsse sind und bleiben verfassungswidrig. Wir gehen weiter für den Schutz der Grundrechte vor Gericht – und nun auch für Sozialpaktrechte zu den Vereinten Nationen!
