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Abstammungsrecht verletzt Grundrechte queerer Eltern und ihrer Kinder: Oberlandesgericht Celle legt GFF-Fall dem Bundesverfassungsgericht vor

Wenn ein Kind in eine Ehe geboren wird, müssen auch nicht-männliche Ehepartner*innen in die Geburtsurkunde eingetragen werden können

Celle, 24. März 2021 – Im Verfahren der Familie Akkermann schließt sich das Oberlandesgericht Celle der Auffassung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Rechtsanwältin Lucy Chebout an: Das derzeitige Abstammungsrecht ist verfassungswidrig. Dass Verena Akkermann, deren Ehefrau Dr. Gesa C. Teichert-Akkermann die gemeinsame Tochter Paula zur Welt brachte, rechtlich nicht als Mutter anerkannt wird, verletze die Grundrechte der Eltern und des Kindes. Das Oberlandesgericht setzt deshalb das Verfahren aus und legt den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. „Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist rechtlich ein riesiger Erfolg“, Lea Beckmann, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. „Wir haben das Oberlandesgericht überzeugt, dass es mit den Grundrechten schlichtweg nicht vereinbar ist, dass in Paulas Geburtsurkunde nicht ihre beiden Mamas stehen.“

Familie Akkermann ging nach der Geburt von Paula im Februar 2020 vor Gericht, weil die Mütter ihr Kind rechtlich absichern wollten. Zudem wenden sie sich gegen die systematische Diskriminierung queerer Eltern. Denn wenn ein Kind in eine Ehe von Mann und Frau geboren wird, dann wird der Ehemann der Mutter automatisch als zweiter Elternteil in die Geburtsurkunde eingetragen, auch wenn er nicht genetisch mit seinem Kind verwandt ist. Ist die Geburtsmutter mit einer Frau oder einer Person mit divers-Eintrag verheiratet, verweigerten Standesämter und Gerichte bislang deren automatische Anerkennung als zweiten Elternteil. Auch die notarielle Anerkennung der Elternschaft, wie sie bei Männern möglich ist, wird bei ihnen nicht anerkannt. Damit Paula, wie andere eheliche Kinder auch, zwei rechtliche Eltern bekäme, hätte Verena Akkermann sie als Stiefkind adoptieren müssen – soweit die herrschende Rechtsauffassung, die zuletzt 2018 der Bundesgerichtshof bestätigte. „Das Gericht hat uns buchstäblich wochenlang auf die Folter gespannt. Für die eigene Familie vor Gericht gehen zu müssen, ist nicht einfach. Umso erleichterter sind wir nun, dass das Gericht zumindest anerkennt, dass die aktuelle Rechtslage grundgesetzwidrig ist“, sagt Verena Akkermann.

Dadurch, dass Kindern wie Paula ein Elternteil vorenthalten wird, sind Kinder in Regenbogenfamilien weniger abgesichert: Sie haben keine Unterhalts-, Versorgungs- und Erbansprüche in Bezug auf ihren zweiten Elternteil. Müssen beide Eltern gemeinsam ein langwieriges Adoptionsverfahren durchführen, ist die Familie zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Dies verstößt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle gegen das Recht der Eltern und des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung (Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG). Dieses Recht schütze nicht nur die Beziehung eines Kindes zu biologischen Eltern, sondern eben auch zu Verena Akkermann als Ehefrau der Mutter des Kindes. „Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass Verena ab heute auch ganz offiziell die zweite Mama von Paula ist“, sagt Gesa C. Teichert-Akkermann. „Aber wir sind auch stolz, dass wir die Diskriminierung von Regenbogenfamilien nach Karlsruhe gebracht haben: Ein Grundsatzurteil kann nicht nur uns drei, sondern alle betroffenen Familien endlich rechtlich absichern.“

Außerdem verstößt die fehlende rechtliche Anerkennung der Mit-Mutter Verena Akkermann gegen das Recht auf Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung (Artikel 3 Abs. 1 GG). Das OLG Celle bestätigt, dass für die Ungleichbehandlung gleich- und verschiedengeschlechtlicher Ehen mit Kindern kein sachlicher Grund besteht. Auch Paula selbst werde gegenüber Kindern aus verschiedengeschlechtlichen Ehen benachteiligt, weil ihr der zweite Elternteil verwehrt bleibt. Die GFF und Rechtsanwältin Lucy Chebout gehen darüber hinaus davon aus, dass die Ungleichbehandlung der Mit-Mutter auch geschlechtsdiskriminierend ist (Artikel 3 Abs. 3 GG). Das Bundesverfassungsgericht wird nun umfassend prüfen, inwieweit die abstimmungsrechtliche Gesetzeslage mit den Grundrechten vereinbar ist.

„Das Oberlandesgericht Celle hat seine grundrechtliche Verantwortung ernst genommen, das ist ein ganz wichtiges und starkes Signal auch für andere Familiengerichte. Es stärkt uns durch seinen Vorlagebeschluss den Rücken“, sagt Rechtsanwältin Lucy Chebout. „Dass der Fall von Familie Akkermann nach Karlsruhe kommt, ist ein bedeutender Etappen-Sieg im Kampf um die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien.“

Die GFF begleitet noch ein weiteres Gerichtsverfahren gegen die Diskriminierung queerer Familien, nämlich die Beschwerde von Familie E. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Tony E., mit der Geburtsmutter Tara E. verheiratet, ist nicht-binär und hat den Geschlechtseintrag „divers“. Deshalb wurde Tony E. nicht als zweiter Elternteil in die Geburtsurkunde der Tochter eingetragen. Auch dieser Prozess hat das Ziel, gleiche Rechte für alle Kinder und ihrer Eltern durchzusetzen – unabhängig von deren Geschlecht.

Weitere Informationen zum Fall finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/el...

Fragen und Antworten zur rechtlichen Anerkennung der Elternschaft bei nicht-heterosexuellen Paaren finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/fa...

Ein Interview mit Familie Akkermann zur Geburt ihrer Tochter und den weiteren Schritten finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/in...

Die Juristin und GFF-Verfahrenskoordinatorin Lea Beckmann, die Klägerinnen Verena Akkermann und Dr. Gesa C. Teichert-Akkermann sowie ihre Rechtsanwältin Lucy Chebout stehen am heutigen Mittwoch, 24. März, ab 15 Uhr für Gespräche zur Verfügung.

Bei An- und Rückfragen wenden Sie sich an:
Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org,
Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896

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