Massenüberwachung im Flugverkehr im Eilverfahren noch nicht gestoppt – GFF setzt auf das Verfahren in der Hauptsache
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden äußert sich im Eilverfahren noch nicht zur Rechtmäßigkeit der anlasslosen Verarbeitung von Fluggastdaten durch das Bundeskriminalamt – darüber wird nun im Hauptsacheverfahren zu entscheiden sein
Berlin, 24. August 2019 – Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat die automatisierte Verarbeitung von Fluggastdaten durch das Bundeskriminalamt (BKA) vorläufig weiter zugelassen. Ein von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) initiierter und koordinierter Eilantrag konnte diesen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung noch nicht stoppen. Denn das Gericht hielt es für zumutbar, dass der Antragsteller die Datenübermittlung vorläufig hinnimmt und eine Entscheidung im Hauptverfahren abwartet. Zur Zulässigkeit der Datenspeicherung selbst hat sich das Verwaltungsgericht aber noch nicht geäußert.
„Wir sind für das Hauptverfahren weiter optimistisch, denn die anlasslose, massenweise Speicherung und Auswertung der Flüge aller internationalen Fluggäste verstößt gegen die Europäische Grundrechtecharta“, sagt Malte Spitz, Generalsekretär der GFF. „Die Rasterfahndung am Himmel muss beendet werden. Wir wollen einen verantwortungsvollen Einsatz von Algorithmen in der Gefahrenabwehr und keine anlasslose Massenüberwachung.“
Spitz ist einer von sechs Klägern aus verschiedenen EU-Staaten, deren Verfahren die GFF koordiniert. Ziel der Verfahren ist, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtmäßigkeit der sogenannten PNR-Richtlinie (Passenger Name Records) überprüft. Die GFF kooperiert dazu mit ihrer österreichischen Partnerorganisation, epicenter.works. Diese geht in Österreich parallel den Weg über ein datenschutzrechtliches Beschwerdeverfahren.
Den nun entschiedenen Eilantrag hatte Emilio De Capitani eingereicht, ein ehemaliger EU-Beamter und Datenschutzaktivist. Er will im November von Brüssel nach Berlin fliegen und wendet sich gegen die Übermittlung seiner Fluggastdaten durch die Lufthansa an das BKA. Seit Mai 2018 müssen alle EU-Mitgliedstaaten sämtliche Airlines dazu verpflichten, Daten zu internationalen Fluggästen in knapp zwanzig Kategorien an staatliche Stellen weiterzuleiten. Diese PNR-Datensätze enthalten eine Vielzahl sensibler Informationen – von den Namen der Begleitpersonen und die zum Kauf des Fluges verwendeten Zahlungsmittel bis hin zu einem nicht näher definierten Freitextfeld, das die Airline selbstständig füllt. In Deutschland speichert und verarbeitet das BKA die Daten auf Grundlage des Fluggastdatengesetzes (FlugDaG). Neben einem Datenbankabgleich will das BKA auch mittels automatisierter Mustererkennung verdächtige Flugbewegungen ermitteln. Die Daten bleiben pauschal fünf Jahre gespeichert – und damit zehnmal so lang wie die Daten der sogenannten „Vorratsdatenspeicherung“, die vom Bundesverfassungsgericht bereits 2010 gekippt wurde.
Das Verwaltungsgericht meinte nun, weil De Capitani seit Inkrafttreten des belgischen Fluggastdatengesetzes viele Flüge absolviert habe, ohne sich gegen jede damit zusammenhängende Datenverarbeitung gerichtlich zu wehren, sei ihm die vorläufige Verarbeitung seiner Fluggastdaten für den anstehenden Flug nach Berlin zumutbar. „Dem Antragsteller ist es jedoch nicht zumutbar, gegen jede illegale Datenverarbeitung vor Gericht zu ziehen oder gar ganz aufs Fliegen zu verzichten“, sagt Rechtsanwalt Dr. Bijan Moini, Verfahrenskoordinator der GFF. „Jede Verletzung des Datenschutzgrundrechts muss isoliert abgewehrt werden können, bevor sie eintritt.“
In Deutschland klagen neben De Capitani und Malte Spitz (GFF) die niederländische Parlamentsabgeordnete Kathalijne Buitenweg, die Netzaktivistin Kübra Gümüsay, die Rechtsanwältin Franziska Nedelmann und der Anti-PNR-Aktivist Alexander Sander. Die Klagen sind teils gegen die Fluggesellschaften, teils gegen das BKA gerichtet und werden vom Berliner Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger vertreten. Ziel aller Verfahren ist es, die europäische Fluggastdatenrichtlinie schnellstmöglich vor den EuGH zu bringen. Die Verfahren werden durch eine Förderung des Digital Freedom Fund (DFF) unterstützt und durch Spenden finanziert.
Alle weiteren Informationen zum Thema PNR und die Klageschrift sind auf der eigenen Internetseite nopnr.eu und hier zu finden.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um Grund- und Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen zu verteidigen. Die GFF setzt sich mit ihren ersten Verfahren beispielsweise für die informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit ein. Zudem streitet sie für die Freiheit von Diskriminierung. Sie bringt dafür geeignete Kläger und Klägerinnen mit exzellenten Juristen und Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zu den aktuellen Projekten zählen Verfassungsbeschwerden gegen die automatisierte Passbildabfrage und gegen den massenhaften Einsatz von Staatstrojanern, zuletzt gegen das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen unter presse@freiheitsrechte.org oder
unter 030 549 08 10 55 zur Verfügung.
epicenter.works ist die führende österreichische NGO für die Stärkung von Grund- und Freiheitsrechten im digitalen Zeitalter. Der spendenfinanzierte Verein engagiert sich gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung, für das Grundrecht auf Datenschutz und für ein freies, offenes Internet. Schon in der Gründungszeit mobilisierte der Verein (damals noch als AKVorrat – Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich) über 100.000 Menschen, und erreichte 2014 die Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung durch den Europäischen Gerichtshof. Seitdem ist epicenter.works ein kritischer Begleiter aller Vorhaben zur Ausweitung behördlicher Überwachungsbefugnisse. Seine Expertinnen und Experten zeigen die Auswirkungen von netzpolitischen Gesetzen auf, und erarbeiten konkrete grundrechtskonforme Lösungsansätze. Mehr Informationen zum Verfahren in Österreich finden Sie unter epicenter.works.
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