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FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott nach Berichterstattung über Gerichtsverfahren angeklagt: Verfassungswidrige Strafnorm gefährdet die Pressefreiheit

Berlin, 20. Februar 2024 – Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat, wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen Anklage zum Landgericht Berlin erhoben. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Strafverteidiger Lukas Theune unterstützen Semsrott und FragDenStaat in dem gegen ihn geführten Strafverfahren. Kernpunkt der Verteidigung ist, dass die Strafnorm verfassungswidrig ist und gegen die Pressefreiheit verstößt.

Arne Semsrott hatte im August 2023 über die Ermittlungsmaßnahmen gegen die Letzte Generation und den unabhängigen Sender Radio Dreyeckland berichtet und im Zuge dessen mehrere relevante Gerichtsentscheidungen veröffentlicht. Er riskierte damit bewusst Strafanzeigen. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein und erhob nun in dem Komplex zur Letzten Generation Anklage, wegen der besonderen Bedeutung des Falls sogar zum Landgericht. Die einschlägige Strafnorm (§ 353d Nr. 3 StGB) verbietet ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens vor der Hauptverhandlung. Das erschwert die Berichterstattung über Strafverfahren und schränkt damit die Pressefreiheit unverhältnismäßig ein.

„Dass die Staatsanwaltschaft Arne Semsrott nun anklagt, zeigt die reale Gefahr, die Journalist*innen bei der Berichterstattung über Strafverfahren droht. Dabei ist schlicht egal, wie groß das öffentliche Interesse an den Gerichtsbeschlüssen ist und ob überhaupt Nachteile für das Strafverfahren oder die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten drohen“, kritisiert Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF.

Semsrott hatte die Artikel am 22. August 2023 auf der Rechercheplattform FragDenStaat veröffentlicht und sich dabei vertieft mit den Argumenten der anordnenden Gerichte auseinandergesetzt. Dafür stellte er insgesamt vier der Beschlüsse aus den breit diskutierten Strafverfahren im Wortlaut zur Verfügung. Andere Medien sahen davon ab, die Beschlüsse zu veröffentlichen, zum Teil wiesen sie dabei ausdrücklich auf das Verbot hin.

„§ 353d Nr. 3 StGB ist Ausdruck einer veralteten Vorstellung von Medienöffentlichkeit. Es ist ein Skandal, dass der Gesetzgeber noch immer nicht die Norm gestrichen hat oder wenigstens eine Ausnahme zugunsten der Pressefreiheit eingeführt hat“, betont der Angeschuldigte Arne Semsrott.

Die Frage, inwieweit an den Beschlüssen von Staatsanwaltschaft oder Gerichten ein öffentliches Interesse besteht, fällt in den Kernbereich journalistischer Arbeit. Diese notwendige Abwägung wird an dieser Stelle durch das ausnahmslose strafbewehrte Veröffentlichungsverbot komplett verhindert. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) betonen in ihrer Rechtsprechung, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei und die Strafbarkeit kein Automatismus sein dürfe. Der BGH zog sogar die Verfassungsmäßigkeit der Norm konkret in Zweifel. Die GFF hat zusammen mit weiteren Organisationen kürzlich beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Stellungnahme zum Reformbedarf im Strafgesetzbuch eingereicht, in der die Abschaffung dieser Strafnorm gefordert wird.

Weitere Informationen zum Strafverfahren gegen Arne Semsrott und die Unterstützung durch die GFF finden Sie hier: https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/strafnorm_353d_pressefreiheit

Die gemeinsame Stellungnahme „Strafrechtsreform zur Abschaffung von § 353d Nr. 3 StGB nutzen“ finden Sie hier: https://freiheitsrechte.org/uploads/documents/Demokratie/353d/2024-01-11-Gemeinsame-Stellungnahme-353d-Nr.-3-StGB.pdf


Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau
presse@freiheitsrechte.org
Tel. 030/549 08 10 55 – 01579/2493108

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