Verfassungsbeschwerde gegen Trojaner-Einsatz durch Verfassungsschutz und Predicitive-Policing-Befugnisse der Polizei in Hamburg
Berlin/Hamburg, 23. November 2020 – Der Hamburger Verfassungsschutz und die Polizei verfügen seit April 2020 über scharfe Überwachungsinstrumente: Der Verfassungsschutz darf mit Trojanern verschlüsselte Kommunikation ausforschen, die Polizei mittels Algorithmen Personenprofile erstellen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und weitere NGOs erheben heute Verfassungsbeschwerde gegen die entsprechenden Gesetzesänderungen. „Angesichts der umstrittenen Überwachungspraxis von Geheimdiensten und wiederkehrender Polizei-Skandale sind neue Befugnisse für diese Behörden höchst bedenklich. Wie diese Befugnisse in Hamburg geregelt sind, ist darüber hinaus verfassungswidrig“, sagt Bijan Moini, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF.
Geheimdiensttrojaner verletzt Grundrechte
Seit einer Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes im April 2020 darf sich das Hamburger Amt für Verfassungsschutz ohne Gerichtsbeschluss oder ähnliche Vorab-Kontrolle in Geräte bestimmter Personen hacken (§ 8 Abs. 12). Das verletzt Betroffene in ihrem IT-Grundrecht (Recht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme) und es verletzt ihr Telekommunikationsgeheimnis. Zudem gefährdet der Geheimdiensttrojaner die vertrauliche Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern wie Anwält*innen und Journalist*innen und verletzt damit insbesondere die Pressefreiheit. „Mit dem Geheimdiensttrojaner sind nun selbst verschlüsselte Nachrichten nicht mehr sicher“, sagt Sebastian Friedrich, einer der Kläger*innen. „Das erschwert meine Arbeit ungemein: Es ist mir kaum möglich, wegen einer kurzen Nachfrage einmal quer durch Deutschland zu fahren, um mit meinem Kontakt face-to-face zu reden.“ Friedrich arbeitet als freier Journalist u.a. für den NDR und recherchierte in der Vergangenheit zur militanten Rechten und zum Rechtsterrorismus. Viele seiner Informant*innen brauchen besonderen Schutz.
Hamburger Regelungen zum Trojaner-Einsatz sind verfassungswidrig
Trojaner in Händen von Geheimdiensten sind verfassungswidrig, wenn ihr Einsatz nicht hinreichend begrenzt ist und der Staat Sicherheitslücken in IT-Systemen ausnutzt, statt sie den Betreibern zu melden. All das ist in Hamburg der Fall. Zudem urteilte das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde der GFF gegen die Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst im Mai 2020, dass die heimliche Überwachung bestimmter Personen einer gerichtsähnlichen Vorab-Kontrolle unterliegen muss. „In Hamburg werden die Überwachungsbefugnisse deutlich erweitert, ohne das Kontrollregime zu verbessern – damit ist der Verfassungsverstoß programmiert“, sagt Moini.
Auch Hamburger „Predictive Policing“-Ansatz ist verfassungswidrig
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich außerdem gegen die automatisierte Auswertung von Daten durch die Hamburgische Polizei (§ 49 HmbPolDVG). Die Polizei darf automatisierte Personenprofile aus einer nicht näher bestimmten Menge an Daten erstellen, darunter ggf. auch öffentlich verfügbare Daten aus sozialen Netzwerken. In Hamburg soll dadurch die vorbeugende Verbrechensbekämpfung („Predictive Policing“) Einzug halten – allerdings unter Verletzung der Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der weniger eingriffsintensiven Rasterfahndung gesetzt hat. Es ist unklar, von wem Profile angefertigt werden können und welche Konsequenzen etwaiger „Beifang“ für die Betroffenen hat, also die Erfassung von Personen, die selbst nicht als gefährlich gelten. Unklar ist auch, für welche Zwecke genau Software eingesetzt werden kann und wie lange die Profile gespeichert werden.
Bund will Nachrichtendienste deutschlandweit mit Trojanern ausstatten
Die Verfassungsbeschwerde steht in einem bundespolitischen Zusammenhang: Die Große Koalition will das Artikel 10-Gesetzes kurzfristig ändern und alle Verfassungsschutzbehörden sowie weitere Nachrichtendienste mit Trojanern ausstatten. Die Reformpläne leiden an den gleichen Mängeln wie das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz. „Unsere Beschwerde gegen das Hamburger Gesetz ist ein Musterverfahren für die Reform auf Bundesebene: Wir wollen die mit dem Geheimdiensttrojaner verbundenen Grundsatzfragen frühzeitig durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen“, sagt Moini.
Die GFF koordiniert die Verfassungsbeschwerde. Initiiert wurde und unterstützt wird sie von der Humanistischen Union Hamburg, den Kritischen Jurastudierenden Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Zu den Kläger*innen zählen die Rechtsanwältin Britta Eder sowie Aktivist*innen und Journalist*innen, darunter Sebastian Friedrich (NDR u.a.) und Katharina Schipkowski (taz). Sie werden vertreten durch Jun.-Prof. Dr. Sebastian Golla (Ruhr-Universität Bochum).
Der GFF-Verfahrenskoordinator Dr. Bijan Moini und weitere Verfahrensbeteiligte stehen für Gespräche zur Verfügung.
Weitere Informationen zur Verfassungsbeschwerde finden Sie hier.
O-Töne der Kläger*innen Sebastian Friedrich und Katharina Schipkowski finden Sie hier.
O-Töne der Klägerin Britta Eder finden Sie hier.
Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org,
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