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Erfolg für soziale Gerechtigkeit: Bundesverfassungsgericht erklärt Kürzung von Sozialleistungen für alleinlebende Geflüchtete in Unterkünften für verfassungswidrig

Berlin/Karlsruhe, 24.11.2022 – Das Bundesverfassungsgericht entschied heute, dass die Regelung zur Kürzung der Sozialleistungen für alleinstehende Geflüchtete in Sammelunterkünften das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt. Die Entscheidung erging auf einen Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom April 2021 hin, für den die Richterin eine Mustervorlage der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) verwendet hatte. Der Gesetzgeber argumentierte bei der Anpassung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) 2019 – realitätsfern – mit der Möglichkeit der Bewohner*innen von Sammelunterkünften „aus einem Topf“ zu wirtschaften und dadurch weniger Kosten zu haben. Hierfür sieht das Bundesverfassungsgericht keine Anhaltspunkte und ordnet an, dass die Betroffenen – auch in der Übergangszeit bis zur Neuregelung – die ungekürzten Sozialleistungen nach dem AsylbLG erhalten. Die Entscheidung gilt unmittelbar nur für Geflüchtete, die sich bereits 18 Monate in Deutschland aufhalten, ist jedoch übertragbar auf Leistungsbeziehende in den ersten 18 Monaten.

„Endlich hat die verfassungswidrige Kürzung von Sozialleistungen für alleinstehende Geflüchtete in Sammelunterkünften ein Ende. Die Entscheidung ist eine klare Absage an die wiederkehrenden Vorstöße des Gesetzgebers, Geflüchteten und Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus nur einen Grundrechtsschutz zweiter Klasse einzuräumen. Karlsruhe hat einmal mehr deutlich gemacht: Die Menschenwürde ist nicht relativierbar“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF.

Die Annahme, alleinstehende Geflüchtete könnten – ähnlich wie Eheleute – durch gemeinsames Wirtschaften Geld einsparen, entbehrt jeder faktischen Grundlage: Die ständige Fluktuation in den Unterkünften sowie die unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Hintergründe machen ein gemeinsames Wirtschaften sehr unwahrscheinlich. „Schutzsuchende haben das Recht auf eine menschenwürdige Existenz, also auch auf eine finanzielle Unterstützung, die zum Leben reicht. Das gilt umso mehr, als die meisten Geflüchteten zunächst nicht arbeiten dürfen“, so Lincoln.

Der Kläger Kamalraj G., ein Tamile aus Sri Lanka, freut sich über die Entscheidung: „Dank meines Verfahrens bekommen jetzt alle Geflüchteten in Sammelunterkünften wieder das Geld, das ihnen zusteht. Ich habe mittlerweile ein gesichertes Aufenthaltsrecht und arbeite, aber die letzten Jahre musste ich mit monatlich 330 Euro vom Sozialamt auskommen – das ist gerade in Zeiten der Inflation viel zu wenig für einen Menschen in Deutschland.“ Kamalraj G. war im April 2020 mit Rechtsanwältin Eva Steffen gegen die gekürzten Sozialleistungen vor das Sozialgericht Düsseldorf gezogen.

Die GFF hatte 2020 einen ausführlichen Mustervorlagebeschluss erstellt, den Sozialrichter*innen für Vorlagen zum Bundesverfassungsgericht nutzen konnten.

„Wir sind froh, dass unsere strategische Prozessführung aufgegangen ist: Wir konnten mit unserem Musterbeschluss die Vorlage anstoßen und eine schnelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwirken“, so Lincoln.

Weitere Informationen zu unserem Fall finden Sie hier:https://freiheitsrechte.org/themen/soziale-teilhabe/existenzminimum

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:Dr. Maria Scharlau, Tel. 01579/2493108presse@freiheitsrechte.org

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