Überwachung, Gesichtserkennung und Handgranaten
Wir erheben Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Sächsische Polizeigesetz.
Seit dem Inkrafttreten des novellierte Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächPVDG) vor einem Jahr verfügt die Sächsische Polizei über noch schärfere Überwachungsinstrumente als zuvor und kann diese viel weitreichender einsetzen – trotz zahlreicher Polizeiskandale in der jüngeren Vergangenheit.
Vorverlagerte Überwachung verletzt Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip
Konkret wenden wir uns gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamte, den Einsatz verdeckter Ermittler*innen und von Vertrauenspersonen, Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung sowie Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikation und Internetnutzung.
Das neue Sächsische Polizeigesetz erlaubt es der Polizei langfristig Menschen zu observieren oder sie außerhalb der Wohnung abzuhören und zu orten (§ 63). Ausreichend dafür ist der bloße Verdacht, dass eine Person in Zukunft irgendwann einmal eine „zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung“ begeht. Als Straftat von erheblicher Bedeutung kommt nach dem Gesetz prinzipiell jede Straftat in Betracht, die organisiert begangen wird und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören – sogar Bagatelldelikte wie Beleidigungen.
Zusätzlich darf die sächsische Polizei nun auch Vertrauenspersonen einsetzen (§ 64), um Menschen auszuspähen. Angesichts der vielfältigen Probleme beim Einsatz von V-Personen, drastisch offenbart durch den NSU, sind gesetzliche Schutzvorkehrungen nötig – die das Gesetz aber gerade nicht enthält. Das verletzt das Rechtsstaatsprinzip.
Intelligente Videoüberwachung verletzt Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Innenministerium greift ein
Ein deutschlandweites Novum stellte die Befugnis zur intelligente Videoüberwachung (§ 59) dar. Die Polizei durfte danach nicht nur Videoaufzeichnungen anfertigen, sondern diese auch automatisiert mit polizeilichen Daten abgleichen. Dies schloss laut der Gesetzesbegründung den Abgleich von besonders sensiblen biometrischen Daten (Gesichtserkennung) ein. Dadurch wurde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weil die Maßnahme ohne konkreten Anlass zulässig ist. Die intelligente Videoüberwachung erstreckte sich auf das gesamte Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern (§ 59 Abs. 1 Satz 1). Das umfasst etwa die Hälfte der Fläche des Freistaats. Die Anordnung wurde nun durch das Innenministerium überprüft. Es kommt zu dem Schluss, dass die Maßnahme nicht verhältnismäßig war und nicht über Dezember hinaus verlängert wird.
Überwachung weit im Vorfeld einer Gefahr: Verfassungsgerichtshof erklärt Gesetz für verfassungswidrig
Mit unserer Verfassungsbeschwerde haben wir auch gerügt, dass die Überwachung weit ins Vorfeld einer Gefahr verlagert wird. So ermöglichte das Gesetz eine Überwachung von Telekommunikationsverkehr und Internetnutzung (§ 66), wenn davon ausgegangen wird, dass eine Person in Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird. Hierbei muss es sich nicht um einen Anschlag handeln. Auch die bloße Mitgliedschaft in einer Vereinigung oder die bloße Vorbereitung eines Anschlags gilt bereits als terroristische Straftat. Bei einer solchen Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen in das „Vorfeld des Vorfelds“ kann es ausreichen, dass eine Person Kontakte zu Straftäter*innen hat, um in den Fokus der Polizei zu geraten.
Das sah der Verfassungsgerichtshof Sachsen auch so und erklärte Anfang 2024 verschiedene Überwachungsbefugnisse für verfassungswidrig (Vf. 91-II-19). Er konnte sich dabei auf die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern berufen, die wir zuvor erstritten hatten. Andere Regelungen im Sächsischen Polizeigesetz wurden hingegen vom Verfassungsgerichtshof Sachsen nicht beanstandet.
Handgranateneinsatz verstößt gegen Menschenwürde und Trennung von Militär und Polizei
Daher halten wir an unserer Verfassungsbeschwerde fest. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wenden wir uns auch gegen den Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei (§ 40 Abs. 4). Das verletzt nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Militär und Polizei, sondern auch die Menschenwürde. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Staat nicht zwischen den Leben Unschuldiger abwägen. Das macht er jedoch, wenn er beim Einsatz von Handgranaten den Tod Unschuldiger in Kauf nimmt.
Wer klagt?
Kläger*innen in dem Verfahren sind Journalisten, Rechtsanwält*innen, ein Fußballfan und eine Sozialarbeiterin. Sie werden vertreten durch Prof. Dr. Matthias Bäcker (Universität Mainz).