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Demokratie und Grundrechte
Art. 5, 12

Anti-Whistleblowing-Gesetz “Datenhehlerei”

Nach unserer Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass sich Journalist*innen nicht wegen Datenhehlerei strafbar machen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Straftatbestand der Datenhehlerei einschränkend ausgelegt und damit die Pressefreiheit gestärkt.

Die GFF hat in einem Bündnis von Bürgerrechts-Organisationen und Journalisten gegen den „Datenhehlerei“- Paragrafen im Strafgesetzbuch Verfassungsbeschwerde erhoben (hier zur Verfassungsbeschwerde als pdf). Der von der großen Koalition geschaffene Straftatbestand (§ 202d StGB) stellt den Umgang mit “geleakten” Daten unter Strafe.. Damit drohte das Gesetz einen wichtigen Teil der Arbeit investigativer Journalisten und Blogger sowie ihrer Informanten und Helfer zu kriminalisieren. Nach unserer Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht jedoch klargestellt, dass Journalisten von der Strafbarkeit ausgenommen sind.

Die Verfassungsbeschwerden von drei Beschwerdeführern wurden vom Verfahren abgetrennt und sind noch beim Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängig. Dazu gehören der GFF-Vorsitzende Dr. Ulf Buermeyer sowie ein Anwalt und ein IT-Experte, die jeweils regelmäßig investigativ arbeitende Medien beraten. Von der ausstehenden Entscheidung erhofft sich die GFF eine Klarstellung, dass auch journalistischen Hilfspersonen keine Strafverfolgung droht.

GFF klagt in Partnerschaft mit Bürgerrechtsorganisationen und Journalisten

Die GFF hat die Verfassungsbeschwerde koordiniert und im Namen von netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie von Journalisten und Bloggern und ihren Hilfspersonen eingereicht.

Unter den klagenden Journalisten und Bloggern sind die netzpolitik.org-Redakteure Markus Beckedahl und Andre Meister, die Investigativjournalisten Peter Hornung (NDR, Panama Papers) und Hajo Seppelt (ARD, Olympia-Doping) sowie die IT-Journalisten Holger Bleich, Jürgen Schmidt (beide vom Magazin c’t) und Matthias Spielkamp. Weitere Beschwerdeführer sind der Richter und GFF-Vorsitzende Dr. Ulf Buermeyer sowie ein Anwalt und ein IT-Experte, die jeweils regelmäßig investigativ arbeitende Medien beraten.

Die Verfassungsbeschwerde verfassten Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Freie Universität Berlin), der Kölner Strafverteidiger Dr. Nikolaos Gazeas und Dr. Sebastian J. Golla (Ruhr-Universität Bochum), unterstützt von Sebastian Thess (Humboldt-Universität zu Berlin). Studierende der Humboldt Law Clinic Internetrecht (HLCI) haben im Vorfeld Recherchearbeit geleistet.

Am 16. Dezember 2016 hat die GFF die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Finanziert wird sie von Netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen sowie der GFF. (Zur Pressemitteilung)

Was ist die sogenannte “Datenhehlerei”?

Der neue Straftatbestand ist seit dem 18. Dezember 2015 in Kraft. Der Bundestag hatte ihn zwei Monate zuvor als § 202d Strafgesetzbuch (StGB) ohne nähere Debatte verabschiedet, nachdem ihn die Bundesregierung im Gesetzespaket zur Vorratsdatenspeicherung 2.0 versteckt hatte, sodass kaum jemand auf die rechtsstaatlichen Probleme der “Datenhehlerei” aufmerksam wurde.

Der Datenhehlerei-Paragraph stellt den Umgang mit Daten unter Strafe, die jemand zuvor rechtswidrig erworben hat; es drohen bis zu drei Jahre Haft oder Geldstrafe:

(1) Wer Daten (§ 202a Absatz 2), die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Die Norm richtet sich der Absicht des Gesetzgebers nach in erster Linie gegen den Handel zum Beispiel mit gestohlenen Kreditkarten- oder Nutzerdaten. Aufgrund mangelnder Sorgfalt bei der Formulierung des Gesetzes erfasst sie darüber hinaus aber auch das Sich-Verschaffen, die Überlassung und Verbreitung elektronisch gespeicherter Daten, die von Hinweisgebern (“Whistleblowern“) an Journalisten weitergegeben wurden.

Die Arbeit mit Informationen wie denen von Edward Snowden, die dieser unter Bruch der US-amerikanischen Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gebracht hatte, würde damit Datenhehlerei darstellen. Durch die Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts wurde diese Gefahr für die Pressefreiheit entschärft.

Gefährliche Hintertür in der Strafprozessordnung

Hinzu kommt eine Ergänzung in § 97 der Strafprozessordnung (StPO). Danach begründet der Verdacht auf Datenhehlerei eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot. Dies eröffnete eine gefährliche Hintertür, um Redaktionen durchsuchen und dort gefundenes Material beschlagnahmen zu können.

Neben Ärzten oder Rechtsanwälten kommt auch Journalistinnen und Journalisten nach § 53 Absatz 1 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Sie dürfen eine Zeugenaussage verweigern, um ihre journalistischen Quellen zu schützen. Verbindungen zur Presse können gefährlich sein; wichtige Quellen sind daher oft nur zu Gesprächen mit Journalisten und Journalistinnen bereit, wenn ihnen Anonymität zugesichert wird. Besonders gilt dies natürlich für sogenannte Whistleblower, die brisante geheime Informationen an die Öffentlichkeit bringen, um einen Missstand aufzudecken, sei es in staatlichen Behörden oder in privaten Unternehmen.

Demselben Schutz dient auch das Beschlagnahmeverbot in § 97 Absatz 1 StPO. Danach dürfen Redaktionen grundsätzlich nicht durchsucht werden. Auch dies dient dem Schutz der Quellen und damit der freien journalistischen Arbeit – und somit der Pressefreiheit, die von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz geschützt ist.

In § 97 Absatz 2 StPO sind allerdings einige Ausnahmen vom Beschlagnahmeverbot nach Absatz 1 enthalten. Dort findet sich in Satz 3 nun auch die Datenhehlerei:

Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist […].

Durch unsere Verfassungsbeschwerde konnte auch die Gefahr der Durchsuchung von Redaktionsräumen entschärft werden. Denn wenn die Ausnahme für Journalist*innen weit zu verstehen ist, sind sie auch nicht an der Datenhehlerei beteiligt.

Schlampig formulierte Ausnahmen: Unzureichender Schutz für Informanten und Helfer von Journalisten

Das gefährliche Potential des neuen “Datenhehlerei”-Paragraphen für die Presse- und Rundfunkfreiheit wurde zwar erkannt. Doch die Ausnahmen für Journalisten und Journalistinnen viel sind zu eng, zudem sind sie schlampig formuliert.

Ausnahmen von der Strafbarkeit sieht § 202d Absatz 3 StGB nämlich nur für Handlungen vor, die “ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen“. Dazu zählt das Gesetz insbesondere Handlungen “berufsmäßiger“ Journalisten und Journalistinnen:

(3) Absatz 1 gilt nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Dazu gehören insbesondere […]

2. solche beruflichen Handlungen der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Personen, mit denen Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden.

Diese Ausnahmen hat das Bundesverfassungsgericht weit ausgelegt. Laut dem Gericht „drängt sich auf, dass ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten bezweckt wird“. Der Tatbestandsausschluss ziele darauf ab, dass eine journalistische Handlung auch dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn Recherchen gegebenenfalls unergiebig sind und es im Ergebnis nicht zu einer Veröffentlichung kommt.

Noch unzureichender ist der Schutz für externe Experten und Expertinnen, wie sie von Journalisten und Journalistinnen häufig zu Rate gezogen werden. Insbesondere bei der Sichtung und Bewertung geleakter Daten ist dies regelmäßig notwendig; hier greifen Presseleute etwa auf die Expertise von Anwälten oder IT-Fachleuten zurück, um das Material richtig einschätzen zu können. Auch solche Hilfspersonen sind von der Ausnahme in § 202d Absatz 3 StGB nicht umfasst und riskieren damit Strafbarkeit wegen “Datenhehlerei”. Daher haben wir auch mit solchen Hilfspersonen Verfassungsbeschwerden erhoben, die noch beim Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängig sind.

Beispiele für die Arbeit mit “Leaks”: Recherchen zu Geheimdiensten, Panama Papers, Olympia-Doping

Die Beschwerdeführer in der GFF-Klage arbeiten häufig mit sogenannten “Leaks”, also mit von Whistleblowern unrechtmäßig erlangtem Material, das sie benutzen, um gesellschaftliche Missstände aufzudecken; sie befürchten, sich bei zukünftigen, ähnlichen Recherchen strafbar zu machen:

  • Die Netzpolitik.org-Redakteure Markus Beckedahl und Andre Meister zum Beispiel thematisieren und veröffentlichen regelmäßig Dokumente zur Arbeit deutscher und internationaler Geheimdienste, darunter auch Verschlusssachen etwa zur Arbeit von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz.
  • Der NDR-Journalist Peter Hornung arbeitete intensiv an der Auswertung der sogenannten Panama Papers mit; diese geleakten Dokumente enthalten brisante Informationen zu den Briefkastenfirmen von Politikern und Prominenten in Panama. Hornung koordinierte mit zwei Kollegen die Hörfunkberichterstattung darüber in der gesamten ARD. Heute arbeitet er regelmäßig mit “Leaks” zum VW-Abgas-Skandal.
  • Der investigative Sportjournalist Hajo Seppelt gab durch seine Recherchen und Berichte für die ARD die entscheidenden Anstöße zur Aufdeckung des systematischen russischen Staatsdopings.
  • Jürgen Schmidt, Redakteur der Computerzeitschrift c’t und des Online-Portals heise Security, deckte gravierende Sicherheitslücken beim Online-Banking eines Geldinstituts sowie bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen auf. Bei derartigen Recherchen ist er auf ein Netz externer IT-Experten angewiesen.
  • Der Rechtsanwalt Ansgar Koreng und der IT-Experte Mike Kuketz werden von Redaktionen regelmäßig wegen ihrer Expertise als Hilfspersonen herangezogen.

Wären die Vorschriften zur Datenhehlerei zur Zeit der jeweiligen Recherchen bereits in Kraft gewesen, hätten die Beschwerdeführer sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt.

Das Beispiel “LOVOO”

Ein gutes Beispiel für die strafrechtlichen Probleme bei der Arbeit mit Whistleblower-Leaks ist der Fall “LOVOO”. Diese Online-Dating-Agentur stellt bestimmte Basis-Funktionen und eine App kostenfrei zur Verfügung. Die Kontaktaufnahme durch Nachrichten erfordert dagegen kostenpflichtige sogenannte „Credits“.

Im Spätsommer 2015 wurde der Redaktion der c’t, einem Magazin für Computertechnik, ein ca. 50 Gigabyte Daten umfassendes Archiv zugespielt. Dieses Archiv enhielt – so die Angabe des anonymen Hinweisgebers – u.a. Emails aus der LOVOO Führungsebene, Bildschirmfotos sowie Quellcode der von LOVOO genutzten Programme. Der c’tJournalist Holger Bleich und seine Kollegen analysierten das Archiv.

Aus dem eMail-Archiv ergab sich, dass die LOVOO-Chefs den Umsatz an „Credits“ zu niedrig fanden. Daher kam man auf den Gedanken, männliche Nutzern der Plattform künstlich zur kostenpflichtigen Nutzung der Premium-Funktionen anzuregen. Dazu setzte LOVOO Computer-Programme (sog. Bots) ein, die weibliche Nutzerinnen der Plattform simulierten – intern „Tu Gutes“ und „Chat-Banana“ genannt. Die Bots schrieben männlichen Nutzern vermeintlich von Nutzerinnen stammende Nachrichten. Die Empfänger konnten darauf nur antworten, wenn sie kostenpflichtige „Credits“ erwarben. In dem Glauben, sie würden mit Frauen aus Leib und Blut flirten, erwarben tausende männlicher Nutzer solche „Credits“ – ein klarer Fall von zumindest versuchtem gewerbsmäßigem Betrug oder Computerbetrug (§§ 263, 263a StGB) in mehreren tausend Fällen.

Bleich und seine c’t-Kollegen brachten die großangelegte Betrugs-Masche an die Öffentlichkeit. Als LOVOO – erfolglos – versuchte, presserechtlich gegen die Artikelserie vorzugehen, übertrug der Verlag der c’t die Sache an ihren Rechtsanwalt. Um zu prüfen, im welcher Form eine Verdachtsberichterstattung zulässig war, musste auch er Daten aus dem „LOVOO-Leak“ sichten.

Die Recherchen der c’t führten zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen LOVOO, einschließlich Durchsuchungen und Haftbefehlen. Die Staatsanwaltschaft schätzte den Gesamt-Umsatz aus der Betrugsmasche auf mindestens 1,2 Mio. €, c’t geht von noch weitaus höheren Beträgen aus. Das Ermittlungsverfahren wurde schließlich gegen Geldauflagen in Millionenhöhe eingestellt – offenbar ein Fall von Wirtschaftsförderung durch überraschende Milde der Sächsischen Staatsanwaltschaft, denn der Bundesgerichtshof sieht bei siebenstelligen Schadenshöhen eigentlich Freiheitsstrafen ohne Bewährung vor.

Der Fall “LOVOO” zeigt beispielhaft, wie wichtig die Berichterstattung der Presse für die Aufdeckung von Betrügereien und anderen Missständen ist und welche wichtige Rolle Hilfspersonen wie IT-Experten oder Juristen dabei spielen. Wäre der Fall nach dem Inkrafttreten des Datenhehlerei-Paragraphen passiert, hätten die Beteiligten fürchten müssen, sich strafbar zu machen.Zudem hätte der Whistleblower damit rechnen müssen, dass die c’t-Redaktion durchsucht wird und dabei Hinweise auf seine Identität gefunden werden. Diese Umstände machen investigative Pressearbeit wie im Fall “LOVOO” zum Spiel mit dem Feuer. All dies hat die Große Koalition nicht bedacht, als sie im Hauruck-Verfahren die “Datenhehlerei” im Paket mit der Vorratsdatenspeicherung 2.0 durch den Bundestag schmuggelte.

Zusammenarbeit der GFF mit der Humboldt Law Clinic

Für die Datenhehlerei-Beschwerde arbeitete die GFF erstmals mit einer Law Clinic zusammen, der Humboldt Law Clinic Internet Law (HLCI). Law Clinics sind Ausbildungsformen, in denen Studierende am praktischen Fall lernen – ähnlich wie im klinischen Medizinstudium, daher der Name “Clinic”. Die Humboldt Law Clinic wurde 2010 von GFF-Vorstandsmitglied Nora Markard mit gegründet, zunächst im Bereich Grund- und Menschenrechte; 2012/13 kam die Clinic für Internet-Recht hinzu.

Die Studierenden der HLCI erarbeiteten für die Klage unter anderem sogenannte Beschwerdeführer-Profile, d.h. sie überlegten, bei welcher Art Personen die grundrechtlichen Probleme der beiden angegriffenen Vorschriften besonders deutlich werden. Die GFF und Reporter ohne Grenzen sprachen dann auf dieser Basis gezielt mögliche Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen an. Zudem unterstützten die Studierenden die Beschwerde durch Literaturrecherchen.

Durch Projekte wie dieses macht die GFF Studierende mit Fragen der verfassungsrechtlichen Prozessführung ebenso wie mit der Bedeutung der Presse- und Rundfunkfreiheit vertraut. Die Verteidigung der Grund- und Menschenrechte erfordert gut ausgebildete Juristinnen und Juristen, denen diese Rechte am Herzen liegen. Auch die Partner der GFF in den Vereinigten Staaten, nämlich die American Civil Liberties Union (ACLU) und die Electronic Frontier Foundation (EFF), arbeiten daher mit Studierenden aus Clinics zusammen.

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