Sitzblockade Freiburg
Der Teilnehmer einer friedlichen Sitzblockade in Freiburg wurde strafrechtlich verfolgt. Das verletzte die Versammlungsfreiheit. Mit einer Verfassungsbeschwerde wollen die GFF und der Beschwerdeführer diesen Eingriff in die Grundrechte prüfen lassen.
In der Freiburger Innenstadt versammelt sich jährlich die fundamentalistische Piusbruderschaft St. Pius X. zu einem Aufzug zum Thema „Schutz des ungeborenen Lebens.“ Dieser wird oft von Gegenprotesten begleitet. Auch 2015 riefen verschiedene Gruppen und Personen zu Protesten auf, um ihre Abneigung gegen die Positionen der Piusbruderschaft zu zeigen. Ziel der Proteste war es unter anderem, mit einer Sitzblockade Bilder zu generieren, die von den Medien aufgegriffen werden und so in den öffentlichen Diskurs gelangen konnten.
Sitzblockade von Versammlungsfreiheit geschützt
Am 10. April 2015 setzten sich friedliche Protestierende daher auf die Kaiser-Joseph-Straße, die der Aufzug passieren sollte. Sie hielten Schilder und Transparente mit Botschaften hoch, die sich gegen die Positionen der Piusbruderschaft richteten. Nachdem sich der Aufzug der Piusbruderschaft gegen 18 Uhr in Bewegung gesetzt hatte, wurden die Protestierenden gegen 18:20 Uhr durch die Polizei informiert, dass die Sitzblockade aufgelöst würde. Dies dauerte eine knappe Viertelstunde, sodass der Aufzug die Straße gegen 18:35 Uhr passieren konnte.
Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Angeklagten wegen grober
Störung einer Versammlung gemäß § 21 Versammlungsgesetz. Die dagegen
gerichtete Revision blieb erfolglos. Anders als das Amtsgericht Freiburg
in einem Parallelverfahren 2016 geurteilt hatte, stellten die Gerichte
jedoch fest, dass die Sitzblockade von der Versammlungsfreiheit
geschützt war. Es handelte sich nicht um eine sogenannte
„Verhinderungsblockade“, der der Schutz der Versammlungsfreiheit
abgesprochen wird. Eine reine Verhinderungsblockade ist ausschließlich
darauf gerichtet, eine andere Versammlung zu stören. Verfolgt aber eine
Sitzblockade gleichzeitig ein Ziel, das auf die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist, so unterfällt sie dem
Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Die Sitzblockade mag zwar in
ihrem sogenannten „Nahziel“ darauf gerichtet gewesen sein, die Durchführung
des Aufzugs der Piusbruderschaft zu stoppen. Sie ist aber jedenfalls in
ihrem „Fernziel“ auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung
gerichtet, nämlich die Äußerung von Kritik an den Ansichten der
Piusbrüder einschließlich dem Eintreten für sexuelle Selbstbestimmung.
„Grobe Störung“ nur bei besonders intensiver Beeinträchtigung der Versammlung
Aus der Versammlungsfreiheit folgt, dass eine Sitzblockade nur bei besonders intensiven Störungen strafbar sein können. Nach § 21 Versammlungsgesetz ist nur eine „grobe“ Störung strafbar. Eine „einfache“, polizeirechtlich relevante Störung der Versammlung, die mitunter eine Auflösung der Sitzblockade nach dem Versammlungsrecht legitimiert hätte, genügt dafür nicht. Denn das Strafrecht wird erst als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes eingesetzt und erfordert daher eine gesteigerte Intensität der Beeinträchtigung (BVerfGE 96, 10 <25>; 120, 224 <240>). Eine solche Intensität sahen Amtsgericht und Oberlandesgericht bei der etwa 30 Minuten dauernden Blockade als gegeben an. Damit stellen die Gerichte leider zu niedrige Anforderungen an die Strafbarkeit.
Unbefriedigend sind auch die Ausführungen zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Bestimmtheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss für jedermann vorhersehbar sein, welche Handlung mit welcher Strafe bedroht ist, damit er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Für den Teilnehmer an einer Sitzblockade ist aber nicht erkennbar, zu welchem Zeitpunkt seine geschützte Grundrechtsausübung die Grenze zur Strafbarkeit überschreitet. Dazu müssten im Gesetz klare Regeln für den Umgang mit von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Gegendemonstrationen existieren, wie es beispielsweise nach dem. § 21 Versammlungsgesetz genügt diesen Anforderungen nicht.
Hinzu kommt ein formales Argument: § 21 Versammlungsgesetz ist auf den Schutz der Versammlungsfreiheit gerichtet. Es ist nicht dafür gedacht, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Daher wird die Versammlungsfreiheit nicht als eingeschränktes Grundrecht zitiert, wie es das Zitiergebot (Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz) verlangt. Das Gesetz darf daher nicht auf Gegendemonstrationen angewendet werden, die ihrerseits unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallen. Das haben die Strafgerichte nicht beachtet.
Erfreulicherweise setzt jedoch bei den (Landes-)Gesetzgebern teilweise ein Umdenken ein. So verlangen und § 27 Abs. 1 Nr. 3 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin für eine Strafbarkeit bzw. ein Bußgeld, dass eine vorherige Anordnung ignoriert wird. Die Aktenzeichen der Verfahrenr sind 24 Cs 281 Js 40842/17, 2 Rv 35 Ss 981/19 und 1 BvR 2428/20. Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Verfassungsbeschwerde von GFF-Verfahrenskoordinator David Werdermann vertreten. Im Strafverfahren wurde er zudem vom Juristen Jakob Bach verteidigt.
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