Videoüberwachung
im Klostergarten Passau
Der zentrale Platz "Klostergarten" wurde mit zehn Kameras überwacht. Wir haben erfolgreich mit einem Passauer Bürger gegen die anlasslose Überwachung geklagt.
Seit Dezember 2018 überwacht die Stadt Passau mit einer aufwendigen Kamerainstallation jeden Winkel des städtischen Klostergartens. Der Klostergarten ist etwas kleiner als ein Fußballfeld. Gelegen in unmittelbarer Nähe zum Zentralen Omnibusbahnhof, zur Universität und zu zahlreichen Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten, wird der Platz täglich von tausenden Menschen überquert. Alle Passant*innen werden nun von den Kameras aufgezeichnet und die Aufnahmen für 72 Stunden gespeichert.
Die Aufnahmen aus dem Klostergarten können nachträglich durch das Ordnungsamt und in Ausnahmefällen durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft eingesehen werden. Zur Strafverfolgung ist eine dauerhafte Speicherung der Aufnahmen möglich, bei Ordnungswidrigkeiten über mindestens zwei Monate. Nur zwischen 01:00 Uhr und 06:00 Uhr ist die Anlage zur Videoüberwachung ausgeschaltet. Gleichzeitig überwacht ein*e Mitarbeiter*in der Stadt in einem Überwachungshäuschen auf dem Platz sowohl live als auch über Monitor mit.
Kriminalitätsprävention trotz niedriger Kriminalität
Die Stadt Passau will mit der Errichtung der Videoüberwachung erklärtermaßen das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung stärken. Dabei ist der Klostergarten in den letzten Jahren immer seltener als „Tatort“ aufgefallen. Im Jahr 2017 wurden dort nur drei einfache und eine schwere Körperverletzung sowie vier Beleidigungen polizeilich erfasst. Außerdem wurden 15 Drogendelikte erfasst. Die in Passau erfassten Drogendelikte betreffen fast ausschließlich Cannabis. In wie vielen dieser Fälle es anschließend zu einer strafrechtlichen Verurteilung kam, ist nicht bekannt.
Keine Rechtsgrundlage für städtische Videoüberwachung
Angesichts der niedrigen Kriminalität ist der Klostergarten für eine Videoüberwachung durch die Polizei zu sicher, so auch die Einschätzung des Chefs der Polizeiinspektion. Eine Videoüberwachung durch Polizeibehörden ist nämlich nur an sogenannten „Kriminalitätsbrennpunkten“ zulässig. Um diese Voraussetzung zu umgehen, hat statt der Polizei nun die Stadt Passau selbst die Videoüberwachung installiert. Diese hat aber für Videoüberwachung im öffentlichen Raum keine Rechtsgrundlage und ist für die Abwehr von Gefahren nicht zuständig. Daher hatte die GFF gemeinsam mit dem Passauer Josef Ilsanker vor dem Verwaltungsgericht Regensburg Klage gegen die Videoüberwachung eingelegt. Initiiert und maßgeblich begleitet wurde die Klage durch die Passauer Studenten Constantin Breß und Till Casimir.
Videoüberwachung verletzt zentrale Grundrechte
Videoüberwachung stellt einen intensiven Eingriff in das Datenschutzgrundrecht (Art. 8 EU-Grundrechte-Charta) dar. Ist für die einzelne Person nicht mehr ersichtlich, wer was wann über sie weiß, wird sie ihr Verhalten anpassen, etwa um nicht aufzufallen. Dies führt neben der individuellen Beeinträchtigung auch zu einer Beeinträchtigung des demokratischen Gemeinwesens: Öffentliche Plätze sind auch Orte des gesellschaftlichen Miteinanders und des freiheitlichen Austausches.
Durch eine zunehmende Überwachung entzieht der Staat seinen Bürger*innen diese Räume. Der Eingriff durch die Videoüberwachung fällt besonders intensiv aus, weil so viele Bürger*innen betroffen sind und sie verdachts- und anlasslos überwacht werden. Deshalb sind wir von der Rechtswidrigkeit der Videoüberwachung überzeugt.
Am 13. Juni 2019 hatten wir gegen die Videoüberwachung in Passau Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg eingereicht. Die Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 6. August 2020 als unzulässig abgewiesen. Wir reichten dagegen Berufung ein und begründeten dies am 13. Oktober 2020 detailliert.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof erklärt Überwachung für rechtswidrig
Im Juni 2023 veröffentlichte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) seine Entscheidung und erklärte die langjährige Videoüberwachung des Passauer Klostergartens für rechtswidrig. Er gab damit der von uns unterstützten Berufung des Passauer Klägers Josef Ilsanker recht.
Das Gericht folgt der Argumentation der GFF: Zu keinem Zeitpunkt bestand eine Gefährdungslage im Passauer Klostergarten, die eine Videoüberwachung und die damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen rechtfertigt. Die Stadt Passau führte die Überwachung auf einer Rechtsgrundlage im Datenschutzgesetz durch, die sie zur Sicherung ihres Eigentums ermächtigt, und nicht primär zur Gefahrenabwehr. Der BayVGH stellte klar, dass der Rückgriff auf diese Rechtsgrundlage an der grundrechtlichen Abwägung nichts ändert. Der BayVGH traf die wichtige Feststellung, dass die DSGVO keine anerkannten Klagemöglichkeiten gegen Grundrechtsverletzungen verkürzt, wie fälschlicherweise vom Verwaltungsgericht Regensburg angenommen.
Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal in Zeiten, in denen die Möglichkeiten zur Videoüberwachung in Polizei- und Versammlungsgesetzen immer mehr ausgeweitet werden. Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein intensiver Eingriff in Grundrechte, der nur unter sehr engen Bedingungen zulässig ist.
Eine Revision gegen das Urteil ist ausgeschlossen. Die Stadt Passau hat eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte im Mai 2024 die Beschwerde ab und bestätigte damit die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.