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Auf dem Foto ist Anastasia Biefang auf einer Demonstration zu sehen. privat
gleiche Rechte und soziale Teilhabe
Art. 3

FÜR EIN SELBSTBESTIMMTES LIEBESLEBEN NACH KARLSRUHE

Gemeinsam mit Anastasia Biefang sind wir für das Recht auf ein selbstbestimmtes Liebesleben Staatsbediensteter vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.

Wegen ihres Onlinedating-Profils erhielt die hochrangige Bundeswehr-Offizierin Anastasia Biefang einen disziplinarischen Verweis. Die Formulierung ihrer Suche nach Sexualpartner*innen ging ihrem Arbeitgeber zu weit: Denn auf ihrem Profil suchte Biefang, die in einer offenen Beziehung lebt, mit klaren Worten nach ungebundenem Sex mit Menschen aller Geschlechter. Bis zum Bundesverwaltungsgericht kämpfte die Offizierin gegen den Verweis – erfolglos. Gemeinsam mit der GFF und dem Verein QueerBw ist Biefang 2022 vors Bundesverfassungsgericht gezogen, um für ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, auf Nichtdiskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung und auf Meinungsfreiheit zu kämpfen. Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2025 die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht begründet die Ablehnung mit einem nicht ausreichend dargelegten Rechtsschutzbedürfnis. Damit bleibt eine verfassungsrechtliche Entscheidung in der Sache aus.

Dürfen Staatsbedienstete – auch in hochrangigen Führungspositionen – Dating-Plattformen nutzen und offen nach Sex suchen? An dieser Frage entzündet sich der Fall von Anastasia Biefang. Die hochrangige Bundeswehroffizierin lebt mit ihrer Ehefrau in einer offenen Beziehung. Auf der Suche nach Sexualpartner*innen nutzte Biefang die Dating-App Tinder. 2019 wurde ein rechtswidrig erstellter Screenshot ihres Tinder-Profils ihrem Vorgesetzten zugespielt.

Daraufhin wurden Ermittlungen gegen sie angestrengt und ihr Vorgesetzter wollte Biefang – damals Bataillionskommandeurin – sogar von ihrem Posten ablösen. Denn der Vorwurf stand im Raum, dass ihr Tinder-Profil das Ansehen der Bundeswehr beschädigen und ihre eigene Autorität als Führungsperson untergrabe. Ihr Arbeitgeber erteilte ihr schließlich einen disziplinarischen Verweis. Dagegen wehrt sich Biefang – zunächst vor dem Truppendienstgericht und schließlich auch gerichtlich bis zum Bundesverwaltungsgericht.

Privatleben auch für Staatsbedienstete grundrechtlich geschützt

Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hatte die Rüge der Bundeswehr im Mai bestätigt und im September begründet: Biefang dürfe Dating-Plattformen zwar verwenden, so das Gericht. Dabei müsse sie aber „missverständliche Überspitzungen“ und den Eindruck „sexueller Disziplinlosigkeit“ vermeiden. Insbesondere der Hinweis „all genders welcome“, also dass Anastasia Biefang sich zu Menschen aller Geschlechter hingezogen fühle, könne hingegen den Anschein „sexueller Wahllosigkeit“ und „sexueller Disziplinlosigkeit“ erwecken. So könne ein unbedarfter Dritter beim ersten, flüchtigen Lesen glauben, dass sie ihren Sexualtrieb ungehemmt ausleben wolle.

Dieser Vorwurf schränkt die Offizierin klar in der Ausübung ihres Grundrechts auf sexuelle Selbstbestimmung ein. Solche Grundrechtseingriffe in diesen wesentlichen Teil des Privatlebens sind nur dann verfassungskonform, wenn es ausreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe gibt – wenn z.B. jemand zu Schaden kommen könnte. Dieser Umstand ist jedoch weder erkennbar noch vorgebracht. Die GFF bewertet den Verweis der Bundeswehr und die Entscheidung des BVerwG als klar verfassungswidrig. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gilt auch für Staatsbedienstete. Das Diskriminierungsverbot verbietet es zudem, ihre sexuelle Orientierung als „sexuelle Wahllosigkeit“ auszulegen und ihr dahingehendes Stillschweigen aufzuerlegen. Die Meinungsfreiheit schützt zudem auch Profiltexte auf Tinder und verbietet es staatlichen Stellen, Äußerungen zu verzerren oder in nachteiliger Weise zu interpretieren. Sie dürfen Beamt*innen keine Vorschriften dazu machen, mit welchen Worten sie in ihrem Privatleben sexuelle Orientierung und Beziehungsform leben und ihre Haltung hierzu ausdrücken. Auch dürfen bestimmte Beziehungsformen wie die offene Beziehung nicht benachteiligt und abgewertet werden.

Die Freiheit darf nicht von einem imaginären Dritten abhängen

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht der Offizierin zunächst in ihrer eigenen Pressemitteilung vom Mai aufgrund ihres Dating-Profils „fehlende charakterliche Integrität“ nachgesagt hatte, verlagert es die Vorwürfe in seinen Entscheidungsgründen nun auf imaginäre Dritte. So könnten ihre Untergebene wegen ihres Dating- Profils die notwendige Achtung und das notwendige Vertrauen in sie als Vorgesetzte verlieren. Insbesondere könnten sie vermuten, dass Biefang wegen ihres eigenen Sexuallebens Vorwürfen von sexueller Belästigung innerhalb der Bundeswehr nicht ausreichend nachgeht.

Dass das Dating-Profil einen Imageschaden für die Bundeswehr nach sich ziehen könnte, lehnt selbst das Bundesverwaltungsgericht ab.

Die Figur des imaginären Dritten sieht die GFF besonders kritisch. Es darf nicht sein, dass Grundrechte prophylaktisch eingeschränkt werden, um unbedarfte Dritte zu schützen. Mit der Mutmaßung eines imaginären Dritten zu argumentieren, verkehrt den Grundrechtsschutz ins Gegenteil. Im Übrigen ist die Unterstellung, dass Biefangs einvernehmliches und legales Sexualleben sie davon abhalte, Vorwürfe von sexueller Belästigung aufzuklären, unhaltbar. Zwischen beiden Sachverhalten besteht keinerlei Zusammenhang.

Um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu stärken und damit die Figur des schutzwürdigen Dritten als Freiheitsmaßstab keine Schule macht, sind wir gemeinsam mit Anastasia Biefang vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Indem die Karlsruher Richter*innen keine Entscheidung in der Sache getroffen haben, werden diese grundrechtlichen Fragen nicht geklärt.

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