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Ohne Angst zum Arzt Visual © COMM- WORK / Eric Langerbeins für www.gleichbehandeln.de
gleiche Rechte und soziale Teilhabe
Art. 1, 2

Ohne Angst ­zum Arzt

Gemeinsam mit Ärzte der Welt und 45 weiteren Organisationen hat die GFF Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Damit rügen wir im Bündnis erneut die Meldepflicht, die seit über 30 Jahren Menschen ohne Papiere faktisch von jeder ärztlichen Versorgung ausschließt. Das Recht auf eine medizinische Grundversorgung ist Ausdruck der Menschenwürde und steht allen Menschen zu – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Wir unterstützen auch Klagen von Menschen, die aufgrund einer dringenden Erkrankung ärztliche Versorgung benötigen.

Mit der Beschwerde an die Europäische Kommission im April 2024 geht die GFF im Bündnis erneut gegen die Meldepflicht vor, die hunderttausende Menschen in Deutschland von einer medizinischen Basisversorgung ausschließt.
Seit 2021 setzen wir uns zusammen mit der Kampagne GleichBeHandeln für die Abschaffung der Meldepflicht ein - damit auch Menschen ohne Papiere ohne Angst zum Arzt können. Zuletzt hatten wir dafür gemeinsam mit einem Kläger aus dem Kosovo und der Organisation Ärzte der Welt gegen die Stadt Frankfurt auf Zugang zu Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere geklagt. Der herzkranke Kläger lebt und arbeitet seit über 30 Jahren in Deutschland. Obwohl er dringend eine Herz-OP benötigte, lehnten die Verwaltungsgerichte die Eilanträge ab. Unsere Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht wurde nicht zur Entscheidung angenommen – ohne Begründung. Das Verfahren in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt hat sich erledigt. Seit 2023 hat unser Kläger wieder einen sicheren Aufenthaltsstatus und eine Krankenversicherung.
Sarah Lincoln

Sarah Lincoln

Juristin und Verfahrenskoordinatorin

„Das Recht auf eine medizinische Versorgung ist eng mit der Menschenwürde verknüpft und steht jedem Menschen zu – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland, dass Schwerkranke, Schwangere und Kinder hier faktisch nicht zum Arzt gehen können, wenn sie keinen Aufenthaltstitel haben."

In Deutschland leben hunderttausende Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Sie gehen zur Arbeit, schicken ihre Kinder zur Schule – und haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Der Grund liegt in § 87 Aufenthaltsgesetz: Staatliche Stellen müssen Menschen ohne Papiere umgehend an die Ausländerbehörde melden, wenn sie mit ihnen in Kontakt kommen. Die Ausländerbehörde leitet dann die Abschiebung in die Wege. Unsere Studie „Ohne Angst zum Arzt“ und unser Klageverfahren zeigen: Die Meldepflicht führt dazu, dass lebensbedrohliche Erkrankungen unbehandelt bleiben. Hunderttausenden Menschen, die ohne Papiere in Deutschland leben, bleibt die Gesundheitsversorgung weiterhin verwehrt.

Fehlende Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere verletzt EU-Recht

In einer förmlichen Beschwerde an die Europäische Kommission rügt die GFF im April 2024 die Pflicht zur Datenweitergabe an die Ausländerbehörde in § 87 Aufenthaltsgesetz erneut. Bereits 2021 hatten wir eine Beschwerde eingereicht. Im Koalitionsvertrag und gegenüber der Kommission versprach die Bundesregierung rasch einen Gesetzentwurf einzubringen, damit kranke Menschen künftig nicht mehr davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen. Doch die aktuellen migrationspolitischen Entwicklungen lassen befürchten, dass das Versprechen in dieser Legislaturperiode nicht mehr eingehalten wird. Damit verletzt Deutschland weiterhin EU-Recht.

Die Übermittlungspflicht verletzt das europäische Datenschutzrecht. Eine Zweckentfremdung von Daten erlaubt die Datenschutzgrundverordnung nur in Ausnahmefällen, insbesondere muss die zweckändernde Datenweitergabe notwendig und verhältnismäßig sein. Das ist hier nicht der Fall, denn aufgrund ihres abschreckenden Effekts ist die Übermittlungspflicht schon nicht geeignet, irreguläre Aufenthalte aufzudecken. Gleichzeitig verletzt der faktische Ausschluss von der Gesundheitsversorgung das in Art. 35 EU-Grundrechtecharta garantiertes Recht auf eine ärztliche Versorgung. Die Beschwerde wird von 45 Organisationen unterstützt.


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Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht

Die Meldepflicht ist nicht nur verfassungs- und europarechtswidrig, sondern verletzt auch internationale Menschenrechtspflichten. Die Bundesregierung ist verpflichtet, allen Menschen in Deutschland Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung zu gewährleisten – unabhängig von Einkommen, Herkunft und Aufenthaltsstatus. Das Menschenrecht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung hat Deutschland u.a. mit Unterzeichnung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anerkannt.

Sowohl der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als auch der UN-Sozialausschuss sehen in der aufenthaltsrechtlichen Meldepflicht eine Verletzung des Rechts auf Gesundheit und empfehlen dringend eine Reform.

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Das Kampagnenbündnis GleichBehandeln

Aus Angst davor, ihre gesamte Existenz zu verlieren, gehen hunderttausende Menschen nicht zu Ärzt*innen – chronisch Kranke, die dringend Medikamente bräuchten, Kinder oder Schwangere, die Vorsorgeuntersuchungen und medizinische Versorgung brauchen. Deshalb setzten wir uns schon im Vorfeld von Klagen gemeinsam mit Ärzte der Welt und über 80 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Kampagne GleichBeHandeln dafür ein, dass alle Menschen in Deutschland medizinisch versorgt werden und fordern, dass der Gesundheitsbereich von der Meldepflicht ausgenommen wird.

Regelmäßig kommen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in unsere Behandlungs- und Beratungsstellen, weil sie keinen Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung haben. Die Meldepflicht im Gesundheitswesen ist unmenschlich und gehört dringend abgeschafft. Dafür setzen wir uns im Kampagnenbündnis GleichBeHandeln gemeinsam mit über 80 weiteren Organisationen ein.
Janina Gach, Fachreferentin bei Ärzte der Welt.

Einen ersten großen Erfolg hat die Kampagne bereits erzielt. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere überarbeitet werden sollen, damit „Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen“ (SPD/Grüne/FDP 2021: 139).

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Die Meldepflicht ist verfassungswidrig

Die Meldepflicht verletzt das Grundrecht auf ein gesundheitliches Existenzminimum, weil sie Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus faktisch von der Gesundheitsversorgung ausschließt. Der Staat muss sicherstellen, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung auch in der Praxis funktioniert.

Der Gesetzgeber muss existenzsichernde Leistungen so ausgestalten, dass die Betroffenen sie auch annehmen können. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt bedingungslos und darf nicht aus migrationspolitischen Zielen relativiert werden. Die Beschränkung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung durch § 87 Aufenthaltsgesetz lässt sich daher nicht damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber die Ausreisepflicht durchsetzen möchte.

Die Weitergabe der persönlichen Daten erkrankter Menschen verstößt zudem gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Datenübermittlung an die Ausländerbehörde ist ein besonders schwerer Eingriff in dieses Recht, weil sie gravierende Folgen für die Betroffenen hat. Dieser Eingriff ist unverhältnismäßig, denn er verfehlt seinen Zweck. Anstatt irreguläre Aufenthalte aufzudecken, hält die Übermittlungspflicht Menschen davon ab, sich gesundheitlich versorgen zu lassen. Damit macht die Meldepflicht es der Sozialbehörde unmöglich, ihre Aufgabe zu erfüllen und die verfassungsrechtlich gebotene soziale Mindestversorgung zu gewährleisten.

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KLAGE AUF GESUNDHEITSVERSORGUNG FÜR SCHWERKRANKEN

Der herzkranke Kläger lebt und arbeitet seit nun über 30 Jahren in Deutschland. Von 2017 bis 2023 hatte er keinen geregelten Aufenthaltsstatus. Ohne Aufenthaltserlaubnis war er faktisch von der Gesundheitsversorgung in Deutschland ausgeschlossen. Für eine Behandlung seiner Herzkrankheit musste er beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Das Sozialamt ist verpflichtet, ihn sofort bei der Ausländerbehörde zu melden. Damit hätte dem Kläger die Abschiebung gedroht.

Mit einem Eilantrag wollten wir kurzfristig erreichen, dass das Verwaltungsgericht der Sozialbehörde untersagt, die Daten des Klägers an die Ausländerbehörde zu übermitteln, sodass der Kläger zeitnah medizinisch versorgt werden konnte. Um zu verhindern, dass die Klage selbst dazu führte, dass seine Daten an die Ausländerbehörde übermittelt werden, hatte der Kläger unter Pseudonym und ohne Angabe seiner Wohnadresse geklagt. Denn auch Gerichte unterliegen der angegriffenen Übermittlungspflicht und sind damit verpflichtet, die Daten des Klägers an die Ausländerbehörde weiterzugeben.

Durch Verwendung des Aktenzeichens der Clearingstelle Frankfurt, die im Gesundheitsamt Frankfurt angesiedelt ist und den Kläger in der humanitären Sprechstunde beraten hat, ist jedoch eine eindeutige Identifizierbarkeit sichergestellt. Das Gericht kann sich dort die Identität bestätigen lassen, darf diese Daten aber nicht weiterleiten, weil sie der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.

Die hessischen Verwaltungsgerichte haben den Eilantrag des Klägers dennoch als unzulässig zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse im Eilverfahren hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen – ohne Begründung. Das gescheiterte Eilverfahren zeigt: Menschen ohne Aufenthaltstitel wird nicht nur das Recht auf Gesundheit verwehrt, sondern auch der Zugang zu effektivem Rechtsschutz.

Seit 2023 hat unser Kläger wieder einen sicheren Aufenthaltsstatus und eine Krankenversicherung. Er bekommt die erforderliche kardiologische Behandlung.

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