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Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 1, 2, 10, 13

Bayerisches Verfassungs­schutzgesetz

Der bayerische Inlandsgeheimdienst darf in vielen Fällen in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen. Unsere erste Verfassungsbeschwerde dagegen haben wir 2022 gewonnen – doch die anschließende Gesetzesreform enthielt wieder eine verfassungswidrige Befugnis. Deshalb haben wir 2024 erneut Verfassungsbeschwerde erhoben

Das Bundesverfassungsgericht gab der GFF-Klage gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) 2022 in weiten Teilen statt und fällte damit ein Grundsatzurteil. Bei der anschließenden Reform des Gesetzes verbesserte der Bayerische Gesetzgeber in vielen Punkten den Schutz der Privatsphäre. Doch zugleich wurden die ohnehin bereits vagen Voraussetzungen für die Informationsweitergabe an private Stellen noch einmal abgesenkt. Dagegen sind wir im August 2024 ein zweites Mal vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.
Portrait von David Werdermann, Verfahrenskoordinator

David Werdermann

Jurist und Verfahrenskoordinator

Nicht nur, dass der Verfassungsschutz Menschen umfassend überwachen kann. Durch die neue Regelung darf der Inlandsgeheimdienst die gesammelten Daten ohne Kenntnis der Betroffenen an das gesamte private und berufliche Umfeld weitergeben. Er kann dafür sorgen, dass Aktivist*innen ihren Job verlieren oder aus Vereinen ausgeschlossen werden – ohne dass sie von der Intervention des Geheimdienstes erfahren und sich dagegen wehren können. Solche Methoden haben in einer Demokratie nichts zu suchen.

Im August 2024 haben wir gemeinsam mit Klima-Aktivist*innen aus Bayern erneut Verfassungsbeschwerde gegen das BayVSG eingereicht. Die Klage richtet sich gegen eine Norm, die den Bayerischen Inlandsgeheimdienst dazu befugt, persönliche Daten unter äußerst geringen Voraussetzungen an private Stellen wie Arbeitgeber*innen oder Vermieter*innen weiterzugeben.

Eine solche Datenweitergabe kann gravierende Folgen für die Betroffenen haben, etwa den Verlust des Arbeitsplatzes oder soziale Ausgrenzung. Was das genau bedeuten kann, zeigt eindrücklich der Fall eines Nachwuchswissenschaftlers in Sachsen, der mehrfach durch die rechtswidrige Einflussnahme des Verfassungsschutzes seinen Job verlor – bis die Sache aufflog und der Betroffene eine Entschädigungszahlung bekam.

Der schwere Eingriff in das Grundrecht, über die eigenen Daten zu bestimmen, kann aus unserer Sicht nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein und muss an strenge Voraussetzungen geknüpft sein.

Staatlicher Machtmissbrauch gefährdet unsere Demokratie

Die weitgehende Befugnis des bayerischen Verfassungsschutzes, persönliche Daten an private Stellen zu übermitteln, gefährdet nicht nur die Privatsphäre der unmittelbar Betroffenen. Derartige Eingriffe haben auch eine große gesamtgesellschaftliche Relevanz, da sie eine erhebliche staatliche Einmischung in demokratische Prozesse und zivilgesellschaftliches Engagement darstellen. Wenn Menschen Angst haben müssen, dass ihre Daten ungewollt weitergegeben werden, dann kann das in letzter Konsequenz zu weniger Engagement in unserer Gesellschaft führen.

Immer wieder versuchen Inlandsgeheimdienste, insbesondere Protestbewegungen als extremistisch zu diskreditieren. Ein jüngstes Beispiel ist die Einstufung der Klimabewegung „Ende Gelände“ als „linksextremistischen Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dadurch wird demokratische Teilhabe durch staatliche Stellen gezielt ausgebremst.

Wer klagt 2024?

Zu den fünf Beschwerdeführenden gehört der bei „Ende Gelände“ aktive Johnny Parks und die Klima-Aktivistinsowie Lisa Poettinger und Daniel Verlohr, die ebenfalls in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind. Alle Beschwerdeführenden sindengagieren sich in Gruppen und Protestbewegungen aktiv, die vom Landesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch bzw. als Verdachtsfall angesehen werden, darunter „Ende Gelände“ und das „Offene Antikapitalistische Klimatreffen München“.

Ziel unserer neuen Verfassungsbeschwerde

Ziel unserer zweiten Verfassungsbeschwerde von 2024 ist, dass das Bundesverfassungsgericht klare Maßstäbe und strenge Grenzen für die Informationsweitergabe durch Geheimdienste an private Stellen festlegt. Wir fordern, dass die Weitergabe von Daten an private Stellen nur bei schwerwiegenden Gründen zulässig sein darf, beispielsweise zur Abwehr einer konkreten Gefahr. Als Vorbild kann insofern die Regelung im Bundesverfassungsschutzgesetz gelten, die einen engen Katalog an Übermittlungszwecken vorsieht. Zudem müssen Betroffene grundsätzlich über die Datenweitergabe informiert werden. Nur so können sie sich gegen die Datenweitergabe und möglicherweise sogar falsche Verdächtigungen wehren.

Erfolg der ersten Verfassungsbeschwerde

Die am 1. August 2016 in Kraft getretene Novelle des BayVSG gibtgab dem bayerischen Inlandsgeheimdienst erweiterte Überwachungsbefugnisse, die im Dienste der „Inneren Sicherheit“ noch breiter und tiefer in die Grundrechte der Bevölkerung eingreeifen, als dies in den übrigen Verfassungsschutzgesetzen der Länder und des Bundes der Fall ist.

Am 26. April 2022 gab das Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen unserer 2017 eingereichten Klage statt und fällte ein Grundsatzurteil. Die Karlsruher Richter*innen entschieden unter anderem, dass die Befugnis Auskunft über Verkehrsdaten aus Vorratsdatenspeicherung zu ersuchen, nichtig ist. Darüber hinaus stärkte das Urteil das Trennungsprinzip zwischen Verfassungsschutz und Polizei, indem es klare Schranken für den Informationsaustausch hochzog.

Angriffspunkte der ersten Verfassungsbeschwerde von 2017

Zu den Befugnissen im BayVSG, die das Bundesverfassungsgericht nach unserer Klage von 2017 für verfassungswidrig erklärt hat, gehörten:

Diese und weitere Maßnahmen griffen unzulässig in mehrere Grundrechte ein, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (das sogenannte „Computer-Grundrecht“), das Fernmeldegeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf effektiven Rechtsschutz.. Das in der Verhandlung gehaltene Eingangsstatement unseres GFF-Vorstandsmitglieds, ehemals Vorsitzender des Vereins, Dr. Ulf Buermeyer finden Sie hier.

Wer hatte 2017 geklagt?

Die Beschwerdeführenden waren mehrere Personen, die als Funktionsträger bzw. Mitglieder von im Bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnten Organisationen glaubhaft machen konnten, Gegenstand der geheimdienstlichen Überwachung zu sein. Zu diesen Organisationen gehört insbesondere der Landesverband Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Die Verfassungsbeschwerde wurde verfasst von Prof. Dr. Matthias Bäcker (Johannes Gutenberg-Universität Mainz). Der Experte im Informationsrecht und Datenschutzrecht arbeitet bereits im „G 10“-Verfahren als Prozessvertreter mit uns zusammen. Finanziell unterstützt wurde unser Vorgehen in diesem Verfahren durch die Stiftung Erneuerbare Freiheit.

Mit strategischen Klagen gegen überbordende Befugnisse

Beide Verfassungsbeschwerden gegen die weitreichenden Befugnisse im BayVSG haben aus unserer Sicht Signalwirkung: Zum Schutz der Grundrechte gilt es zu verhindern, dass sich die übrigen Verfassungsschutzämter ein Beispiel am „Vorreiter“ Bayern nehmen. Auch über den geheimdienstlichen Bereich hinaus ist es uns wichtig, gegen verfassungsrechtliche zweifelhafte Freiheitseingriffe nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern vorzugehen.

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