
Wo ist mein Platz?
Wenn Menschen aus dem öffentlichen Raum verdrängt und ihre Grundrechte verletzt werden, dann unterstützen wir sie. Jetzt klagen wir gegen das pauschale Bettelverbot im Nahverkehr.
Die HVV-Beförderungsbedingungen verbieten es, in Bussen und Bahnen sowie in Bahnhöfen friedlich um Hilfe zu bitten. Seit Mai 2024 wird dieses Bettelverbot mit Lautsprecherdurchsagen und Kontrolleur*innen verstärkt durchgesetzt. Dabei werden Menschen, die an den Haltestellen oder in Bussen und Bahnen betteln, weggeschickt und müssen ein Bußgeld von 40 Euro bezahlen. Wer das Bußgeld nicht zahlen kann, muss mit einem Inkassoverfahren rechnen. Der Hamburger Senat gab auf eine Anfrage der Linksfraktion Hamburg hin an, dass in der ersten Jahreshälfte 2024 ganze 1.319 Bußgelder wegen Betteln und Musizieren in Hamburgs Bahnen verhängt wurden – über 50.000 Euro mussten Betroffene zahlen.
Unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte durch das Bettelverbot
Jeder Mensch hat das Recht, in existenzieller Not um Unterstützung zu bitten. Ein pauschales Bettelverbot verletzt das Persönlichkeitsrecht armutsbetroffener Menschen und greift unverhältnismäßig in ihre Meinungsfreiheit ein. Verkehrsbetriebe müssen diese Grundrechte all ihrer Fahrgäste achten. Dass Menschen die Konfrontation mit sichtbarer Armut unangenehm ist, kann ein Bettelverbot und die damit verbundene Stigmatisierung armer Menschen nicht rechtfertigen.
Grundrechtsverletzungen durch Verdrängung
Repressive Maßnahmen durch Bettelverbote im Nahverkehr und Platzverweise obdachloser Menschen im öffentlichen Raum führen dazu, dass Betroffene kriminalisiert und stigmatisiert werden. Bereits zur Fußball-Europameisterschaft 2024 haben wir mit dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt „Abseits abschaffen“ gefordert. Insbesondere wenn medienwirksame Großereignisse wie internationale Fußballmeisterschaften stattfinden, werden obdachlose Menschen für ein „aufgeräumtes“ Stadtbild zunehmend durch meist rechtswidrige Platzverweise aus Bahnhöfen und Innenstädten verdrängt. Dabei geht die Polizei in den letzten Jahren immer härter gegen obdachlose Menschen vor.
Damit soll die extremste Form der Armut unsichtbar gemacht werden. Mit einer Kampagne unter dem Hashtag „Abseits abschaffen“ haben wir dagegengehalten. Wir bleiben dran und stellen mit den Betroffenen die Frage: Wo ist mein Platz? Eine Frage, die bei wachsender Armut (Human Rights Watch-Bericht „Es zerreißt einen": Armut und Geschlecht im deutschen Sozialstaat), rasant steigenden Mietpreisen, fehlendem Wohnraum und zunehmender Wohnungslosigkeit strukturelle Antworten braucht.

Wohnungslosigkeit verletzt die Menschenwürde
Wohnen ist die Grundvoraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung. Das Leben auf der Straße oder in prekären Unterkünften bedeutet häufig Erschöpfung, gesundheitliche Gefährdung, Ausgrenzung und Gewalt.
Um diese negativen Folgen zu verhindern und damit Menschen ihre Grundrechte ausüben können, muss die Bundesregierung endlich aktiv werden. Die Zahlen sprechen für sich. Mittlerweile geht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) von bundesweit über einer halben Million wohnungsloser Menschen in Deutschland aus.
Im April 2024 beschloss das Bundeskabinett den ersten Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit. Nach über zwei Jahren ist das ein erster Schritt, das Koalitionsversprechen einzulösen und die EU-Vorgabe zur Abschaffung von Wohnungslosigkeit zu erfüllen. Allerdings fehlen weiterhin konkrete Lösungsansätze und finanzielle Mittel, um die Wohnungslosigkeit bis zum gesetzten Ziel im Jahr 2030 beenden.
