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Flur von Tentes, lizensiert unter Pixabay License
Art. 13

Polizeieinsätze in der LEA Ellwangen und in Berlin

Die Polizei stürmt immer wieder Geflüchteten-Unterkünfte ohne Durchsuchungsbeschluss, um Menschen abzuschieben. Dieser Praxis hat das Bundesverfassungsgericht eine Absage erteilt.

Die GFF hat Verfassungsbeschwerden dagegen erhoben, dass die Polizei ohne Durchsuchungsbeschluss in das Schlafzimmer in Geflüchteten-Unterkünften eindringt, um Personen abzuschieben. Am 30. September 2025 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass diese Polizeipraxis verfassungswidrig ist. Die Zimmer in einer Unterkunft sind als elementarer und einziger Rückzugsraum grundrechtlich besonders schutzwürdig. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass es sich grundsätzlich um eine Durchsuchung handelt, wenn die Polizei Betroffene zum Zwecke der Abschiebung in ihrem Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft aufsucht. Sie muss dafür vorher einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss einholen. Die GFF hatte gemeinsam mit PRO ASYL u.a. mit einem Geflüchteten aus Guinea Verfassungsbeschwerde dagegen eingereicht, dass die Polizei sein Wohnheimzimmer in Berlin 2019 mit einem Rammbock gestürmt hat.

Sarah Lincoln

Juristin und Verfahrenskoordinatorin

„Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone. Karlsruhe hat der aktuellen Abschiebepraxis der Polizei eine Absage erteilt.“

Eine Abschiebung aus dem Schlafzimmer ist eine Wohnungsdurchsuchung

Betritt die Polizei ein Schlafzimmer in einer Geflüchteten-Unterkunft, um einen Bewohner abzuschieben, handelt es sich um eine Durchsuchung und es ist ein richterlicher Beschluss erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte mit Beschluss vom 30. September (veröffentlicht am 20. November 2025), dass es für die Einordnung als Durchsuchung entscheidend darauf ankommt, dass die Polizei beim Eindringen in die Wohnung den Zweck verfolgt, dort eine Person aufzuspüren und mitzunehmen. Solange sie nicht vorher sicher weiß, dass und wo sich die Person in dem Zimmer befindet, handelt es sich dabei um eine Durchsuchung. Die Polizei muss vorher nach Artikel 13 Absatz 2 Grundgesetz (GG) einen richterlichen Beschluss einholen.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt: Es kommt nicht darauf an, ob die zu ergreifende Person auf einen Blick erkennbar ist oder sich in einem durch einen Sichtschutz abgetrennten Bereich aufhält. Stellt man - wie zuvor das Bundesverwaltungsgericht - darauf ab, welche Situation die Polizei im Zimmer vorfindet und ob die Person sich dort versteckt hat, unterlaufe dies den präventiven Schutz des Richtervorbehalts. Dies würde zu Abgrenzungsschwierigkeiten und zufälligen Ergebnissen führen. Das Bundesverfassungsgericht stellt damit klar, dass der Grundrechtsschutz nicht von Zufällen wie der Größe und Überschaubarkeit einer Wohnung abhängt.

Mit dem Rammbock ins Schlafzimmer

Im Februar 2025 haben wir gemeinsam mit Rechtsanwalt Christoph Tometten eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Zimmerdurchsuchung in Berlin zum Zweck der Abschiebung erhoben. Die Polizei war 2019 morgens mit einem Rammbock in das Zimmer des Beschwerdeführers in einem Übergangswohnheim in Berlin eingedrungen. Eine richterliche Anordnung hatten sie nicht, als sie in das Zimmer eindrangen, um ihn zu ergreifen und abzuschieben. Die Polizei stützte sich dabei auf die 2019 eingeführte Regelung § 58 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die festlegt, dass es sich um ein reines „Betreten” handelt, wenn die Behörde zur Ergreifung der Person zwecks Abschiebung in eine Wohnung eindringt und Tatsachen dafür vorliegen, dass sich die Person in der Wohnung befindet. Die deutschlandweite grundrechtswidrige Praxis, Zimmerdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbeschluss durchzuführen, wurde damit legitimiert und verfestigt.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte die polizeiliche Praxis und entschied, dass es sich dabei um ein Betreten im Sinne des § 58 Abs. 5 AufenthG handelte. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Mit Beschluss vom 30. September hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: Das Eindringen in eine Wohnung mit Rammbock zur Ergreifung einer Person ist keine bloße Betretung, sondern eine Durchsuchung. Dafür fordert Art. 13 Abs. 2 GG eine richterliche Anordnung.

§ 58 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz künftig ohne Anwendungsbereich

Mit der 2019 eingeführten Regelung in § 58 Abs. 5 AufenthG hatte die damalige Bundesregierung versucht, die grundrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Wohnung zu unterlaufen. Die Regelung sieht vor, dass die Polizei die Zimmer betreten darf, um eine Person abzuschieben, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die Person aktuell in der Wohnung aufhält. Ein Durchsuchungsbeschluss ist danach nicht notwendig. Das Bundesverfassungsgericht stellt nun klar, dass ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich ist, solange die Polizei vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis darüber hat, dass und wo sich die Person konkret im Raum befindet. Für § 58 Abs. 5 AufenthG bleibt damit nahezu kein Anwendungsbereich mehr.

Grundsatzurteil gegen die rechtswidrige Abschiebepraxis

Die Unverletzlichkeit der Wohnung gehört zu den in der Verfassung verankerten Grundrechten. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das Zimmer in der Unterkunft als einziger und elementarer Rückzugsort grundrechtlich besonders geschützt ist. Will die Polizei dort eindringen, um einen Geflüchteten abzuschieben, braucht sie einen Durchsuchungsbeschluss. Das ist keine reine Formalie, sondern ein präventiver Schutz. Das Gericht muss prüfen, ob eine Durchsuchung überhaupt erforderlich ist, um die Person abzuschieben oder ob es mildere Mittel gibt. Und ob es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Abschiebung ohne Zimmerdurchsuchung fehlschlagen würde.

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