Gemeinnützigkeit und politisches Engagement
Politisch engagierte Organisationen sind durch ein veraltetes Gemeinnützigkeitsrecht und restriktive Behördenpraxis bedroht. Wir unterstützen Vereine, denen die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.
Gemeinnütziges Engagement – essentiell für unsere lebendige Demokratie
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben nach Art. 21 des Grundgesetzes neben den politischen Parteien ein Recht darauf, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Für eine lebendige Demokratie ist es essentiell, dass sich vielfältige Akteure kritisch mit bestehenden Verhältnissen auseinandersetzen und Haltung zeigen. Doch seit dem Attac-Urteil von 2019 herrscht in der politisch engagierten Zivilgesellschaft große Rechtsunsicherheit. Im Attac-Urteil entschied der Bundesfinanzhof: Gemeinnützige Vereine, die sich für die „Förderung des demokratischen Staatswesens“ und der „politischen Bildung“ einsetzen, dürfen dabei nicht in der Absicht handeln, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“.
Es ist ein schwerer Schlag für die Demokratie, wenn Organisationen auf Grund ihrer politischen Haltung die Gemeinnützigkeit entzogen wird oder sie sich nicht mehr politisch äußern, weil sie diese Konsequenz fürchten. Für viele Vereine ist es kaum vorhersehbar, ob ihre Arbeit zukünftig noch als gemeinnützig eingestuft wird – und immer mehr Organisationen wird die Gemeinnützigkeit aberkannt. Doch Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft. Deshalb setzen wir uns als Teil der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Unsere Arbeit in diesem Themenfeld wird unterstützt von den Open Society Foundations.
Weitere Informationen zum Attac-Urteil und zur Bedeutung des Gemeinnützigkeitsrechts für Vereine finden Sie hier.
GFF-Gutachten zeigen dringenden Reformbedarf beim Gemeinnützigkeitsrecht
Mit zwei Rechtsgutachten und einer Studie haben wir untersucht, wie das Gemeinnützigkeitsrecht in Deutschland ausgestaltet ist, was das für politisches Engagement bedeutet und wo dringender Reformbedarf besteht:
- Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater zeigt in dem GFF-Gutachten “Politische Teilhabe der Zivilgesellschaft – Menschenrechtliche Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen“, warum Europäische Menschenrechte die politische Teilhabe zivilgesellschaftlicher Organisationen garantieren.
- Unsere gemeinsam mit den Open Society Foundations angefertigte Studie "Shrinking Spaces in Deutschland, Shrinking Spaces in Europa" ergibt, dass politisches Engagement der Zivilgesellschaft nicht nur in autokratischen Ländern eingeschränkt wird, sondern auch in solchen, die wir als intakte Demokratien wahrnehmen.
- Prof. Dr. Sebastian Unger (Ruhr-Universität Bochum) analysiert in dem von uns beauftragten Rechtsgutachten “Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften”, dass die politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisationen in weiterem Umfang mit der Gemeinnützigkeit vereinbar ist als in der Attac-Entscheidung angenommen.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Rechtsgutachten und der Studie finden Sie hier.
Unser Entwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz und unser 7-Punkte-Plan
Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht muss dringend mit dem verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Leitbild einer Demokratie, in der die kritische und demokratisch engagierte Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle spielt, in Einklang gebracht werden. Am 2. August 2021 haben wir daher einen eigenen Gesetzentwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz veröffentlicht. Der Entwurf zeigt auf, welche Maßnahmen die neue Bundesregierung ergreifen kann und muss, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und Rechtssicherheit für politisch engagierte Vereine zu schaffen. Ein FAQ zu unserem Entwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz finden Sie hier.
Ergänzend zu unserem Entwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz präsentieren wir in unserem Policy Paper „7 Punkte für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht – Wie demokratisches Engagement und die Zivilgesellschaft mit rechtlichen Mitteln gestärkt werden können“ einen 7-Punkte-Plan. Dieser sollte in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden, um längerfristig ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Gemeinnützigkeitsrecht als Grundlage einer lebendigen Demokratie zu schaffen.
DemoZ und innn.it: Wir unterstützen betroffene Vereine vor Gericht
Wir unterstützen zivilgesellschaftliche Organisationen vor Gericht, denen aufgrund ihres politischen Engagements die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Dazu gehört das Demokratische Zentrum Ludwigsburg (DemoZ). Der Verein bietet ein umfassendes Kultur- und Bildungsprogramm an und schafft Raum für politische Diskussionen. Dabei positioniert er sich gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit. Das Finanzamt Ludwigsburg warf dem Verein mangelnde “geistige Offenheit” vor und erkannte ihm die Gemeinnützigkeit ab. Nach dreijährigem Rechtstreit hat das DemoZ die Gemeinnützigkeit zumindest ab September 2022 zurückerhalten. Die zentrale Frage, inwieweit sich Vereine politisch betätigen dürfen, blieb offen.
Auch dem Verein innn.it (früher Change.org) wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Er betreibt Deutschlands größte Online-Petitionsplattform und fördert dadurch die demokratische Mitwirkung und Beteiligung von Millionen von Bürger*innen. 2021 entzog das Berliner Finanzamt dem Verein den Gemeinnützigkeitsstatus. Das zeigt ein völlig überholtes Verständnis davon, wie Demokratie funktioniert und was gemeinnützig ist. Kern der Auseinandersetzung war die Frage, ob die Plattform auch Petitionen an Unternehmen richten darf. Unsere Stellungnahme zum Fall Change.org von 2019 finden Sie hier. Nach langjährigem Rechtsstreit gab das Finanzgericht Berlin-Brandenburg innn.it im November 2023 endlich Recht: Es braucht ein weites Verständnis der Norm, das auch Kritik an Konzernen umfasst. Gegen die Entscheidung legte das Finanzamt Revision ein. Wir unterstützen innn.it weiter im Kampf um die Gemeinnützigkeit.
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Mit Recht für Gerechtigkeit
Gemeinsam für die Grundrechte vor Gericht