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Demokratie und Grundrechte
Art. 5

Strafnorm §353d gefährdet Pressefreiheit

Wir wenden uns gegen die Strafnorm §353d – sie verbietet ausnahmslos die Veröffentlichung von Dokumenten aus laufenden Strafverfahren und behindert damit freie Berichterstattung. Das Landgericht Berlin I hat Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat, für seine Arbeit nun verurteilt. Wir ziehen daher in die nächste Instanz.

Gemeinsam mit Strafverteidiger Lukas Theune unterstützt die GFF Arne Semsrott, den Chefredakteur von FragDenStaat, in einem gegen ihn geführten Strafverfahren wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen. Der Chefredakteur hatte aus dem laufenden Strafverfahren gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung heraus Gerichtsentscheidungen veröffentlicht. Nach § 353d Nr. 3 StGB ist das strafbar. Dieses ausnahmslose Veröffentlichungsverbot behindert die Berichterstattung von Journalist*innen enorm und verletzt damit die Pressefreiheit.
Benjamin Lück

Benjamin Lück

Jurist und Verfahrenskoordinator

„Journalist*innen müssen über laufende Strafverfahren berichten können, ohne selbst ins Visier der Strafverfolgung zu geraten. Die Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedeutet ein zu hohes persönliches Risiko. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat im November 2023 eine Entschlackung des Strafgesetzbuches angekündigt – da gehört auch diese Norm auf den Prüfstand.“

Der Chefredakteur der Informations- und Rechercheplattform FragDenStaat, Arne Semsrott, hatte am 22. August 2023 über Ermittlungsmaßnahmen gegen die Letzte Generation und gegen einen Journalisten des freien Radiosenders Radio Dreyeckland berichtet und im Zuge dessen mehrere relevante Gerichtsentscheidungen in Teilen geschwärzt veröffentlicht. Wenige Wochen später erfuhr Semsrott, dass die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet hatte. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Strafnorm § 353d Nr. 3 StGB. Semsrott ist dieses Risiko bewusst eingegangen, wie er auch in den Artikeln schreibt. Der Journalist weist darauf hin, dass die Strafnorm verfassungswidrig ist und dringend reformiert gehört oder zumindest im Einzelfall im Einklang mit europäischen Menschenrechten ausgelegt werden muss. Die Veröffentlichung der Dokumente sollte die Diskussion über die Verfassungsgemäßheit anstoßen.

Das Strafverfahren wegen des veröffentlichen Beschlusses im Fall Radio Dreyeckland wurde eingestellt. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ende Januar 2024 Anklage gegen Arne Semsrott in dem Komplex zur Letzten Generation erhoben. Im April 2024 hat das Landgericht Berlin I das Hauptverfahren gegen Arne Semsrott eröffnet und ihn nach der Verhandlung im Oktober 2024 schuldig gesprochen.

Strafnorm § 353d Nr. 3 StGB ist verfassungswidrig

Die Strafnorm § 353d Nr. 3 verbietet ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert wurden. Darunter fallen insbesondere gerichtliche Entscheidungen, etwa solche zur Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung oder der Telekommunikationsüberwachung, die potentiell tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen. Die Norm verbietet der Presse die Veröffentlichung auch nur von wörtlichen Zitaten aus solchen Entscheidungen. Es ist zwar erlaubt, den Inhalt aus Dokumenten zu paraphrasieren. Es kommt aber häufig gerade auf den genauen Wortlaut an, um sich mit den Argumenten der Gerichte auseinanderzusetzen. Dass die Norm genau diese Zitate verbietet, schränkt die Pressefreiheit ungerechtfertigt ein.

Die gemeinsam verfasste Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft legt dar, dass die Strafnorm § 353d Nr. 3 StGB verfassungswidrig ist, da sie die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränkt. Im Fall von Semsrotts Artikel diente die Berichterstattung dazu, das Vorgehen der Gerichte gegen die Klimabewegung ‚Letzte Generation‘ und gegen den gemeinnützigen Sender Radio Dreyeckland zu thematisieren und sich mit der Argumentation der Beschlüsse kritisch auseinanderzusetzen.

Dafür setzte er sich vertieft mit den Argumenten der anordnenden Gerichte auseinander und stellte insgesamt vier der Beschlüsse aus den breit diskutierten Strafverfahren im Wortlaut, aber teilweise geschwärzt, zur Verfügung. Daraufhin wurden von der Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. „Es muss auch in laufenden Strafverfahren wie zur Letzten Generation erlaubt sein, bei öffentlichem Interesse aus amtlichen Dokumenten zu zitieren. Notfalls muss das Verfassungsgericht das klären“, kritisiert der Verurteilte Arne Semsrott.

Verhandlung am Landgericht Berlin nur der erste Schritt

Das Landgericht ist von der Verfassungswidrigkeit des Paragrafen nicht überzeugt und hat Chefredakteur Arne Semsrott schuldig gesprochen. Das Gericht hat zwar von der Möglichkeit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt Gebrauch gemacht und die Verurteilung zu 20 Tagessätzen vorbehalten, setzt Semsrott aber ein Jahr auf Bewährung und schränkt damit seine freie Tätigkeit als Journalist empfindlich ein. Mündlich begründet das Gericht das Urteil damit, dass § 353d Nr. 3 StGB einen Kompromiss zwischen Pressefreiheit und der Unschuldsvermutung darstellt – die Strafnorm soll die Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens wahren. Wir haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt und ziehen mit dem Fall zum Bundesgerichtshof.

EGMR und BGH betonen: Eingriff in Pressefreiheit muss stets abgewogen werden

Die Frage, inwieweit an Beschlüssen von Gerichten ein öffentliches Interesse besteht, fällt in den Kernbereich journalistischer Arbeit. Diese notwendige Abwägung wird an dieser Stelle durch das ausnahmslose, strafbewehrte Veröffentlichungsverbot komplett verhindert. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) betonen in ihrer Rechtsprechung, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei und die Strafbarkeit kein Automatismus sein dürfe. Der BGH zog sogar die Verfassungsmäßigkeit der Norm konkret in Zweifel.

Das Verbot, Dokumente im laufenden Verfahren zu veröffentlichen, erschwert die Berichterstattung über Strafverfahren und schränkt damit die Pressefreiheit unverhältnismäßig ein. Ziel des Verfahrens und der Stellungnahme ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Norm überprüft.

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