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Ein Smartphone, das auf einem Tisch liegt Pexels, Pixabay
Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 1, 2, 5, 14

Polizei durchsucht beschlagnahmte Handys – ohne gesetzliche Grundlage

Wir wollen die Praxis stoppen, dass die Polizei nach einer Beschlagnahme des Handys praktisch unbeschränkt auf private Smartphones und die dort gespeicherten Daten zugreifen kann. Für einen so schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre und das Recht auf Datenschutz braucht es eine klare gesetzliche Grundlage und enge Grenzen. Deshalb reichen wir Verfassungsbeschwerde ein.

Gemeinsam mit dem Beschwerdeführer, dem Journalisten Hendrik Torner und seiner Rechtsanwältin Gül Pinar (TWP Strafrechtskanzlei) gehen wir vor das Bundesverfassungsgericht: Denn der Polizei reicht bereits ein Anfangsverdacht, um Handys umfassend auszulesen und auszuwerten – eine ausreichend konkrete gesetzliche Grundlage mit klaren Grenzen fehlt bisher. Das verletzt die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und hat gravierende Konsequenzen für zivilgesellschaftliches Engagement und die Pressefreiheit
Davy Wang

Davy Wang

Jurist und Verfahrenskoordinator

Wenn die Polizei bei einem beschlagnahmten Handy alle Daten auslesen darf, kann sie die gesamte Persönlichkeit und das Privatleben der Betroffenen erfassen – obwohl bislang nur ein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht. Das ist eine digitale Hausdurchsuchung, ein massiver Eingriff in die Privatsphäre – ohne dass es dafür eine klare Rechtsgrundlage gibt. Das kann nicht sein.

Anfang September 2023 begleitete der Journalist Hendrik Torner eine Demonstration der „Letzten Generation“ in Bamberg, um darüber anschließend einen Artikel in einer Gewerkschaftszeitung zu verfassen. Torner begleitet regelmäßig zivilgesellschaftliche Demonstrationen aus journalistischer Perspektive und engagiert sich politisch. Nach Ende der Demonstration wurde er Zeuge einer polizeilichen Maßnahme gegen drei Teilnehmende der Demonstration. Dabei dokumentierte er die öffentlichen Äußerungen der Polizist*innen mit einer Sprachnotiz und schickte diese per Signal an sich selbst.

Die Beamt*innen warfen Torner anschließend vor, er habe die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes (Paragraf 201 Strafgesetzbuch) verletzt. Sie beschlagnahmten sein Handy nach den Paragrafen 94ff. der Strafprozessordnung (StPO) und ließen die hochsensiblen Daten mit Hilfe einer Software der Firma Cellebrite auslesen und auswerten – darunter auch private Fotos und Chatnachrichten.

Anschließend erstellte die Polizei auf dieser Grundlage einen umfassenden Bericht zu den politischen Aktivitäten des Klägers, der auch darauf einging, dass Torner Mitglied verschiedener linker politischer Gruppen ist. Mit den konkreten Vorwürfen gegen ihn hatte das nichts zu tun – die Aufzeichnungen waren nicht vom ursprünglichen Zweck der Ermittlungen gedeckt. Torner erhielt sein Handy erst zurück, nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren im August 2024 eingestellt hatte.

Die Beschlagnahme des Handys hatte das Amtsgericht Bamberg bestätigt. Dagegen legte Torner im April 2025 am Landgericht Bamberg Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung erstellte die GFF gemeinsam mit Torners Anwältin Gül Pinar.

Das Landgericht urteilte Ende Juni 2025, die Beschlagnahme des Handys sei nur für die ersten drei Monate rechtmäßig gewesen. Die Maßnahmen in den restlichen acht Monaten, bis die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellte, waren mangels Strafantrags rechtswidrig – dazu gehört etwa, dass die Polizei zahlreiche private Fotos speicherte und die Daten inhaltlich auswertete.

ENORMES MISSBRAUCHSPOTENZIAL FÜR EINZELNE UND GESELLSCHAFT

Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich: Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmen täglich Handys und werten diese aus. Es muss auch kein schwerer Vorwurf im Raum stehen – grundsätzlich kann die Polizei bei jeder denkbaren Straftat und sogar bei Ordnungswidrigkeiten so handeln. Ein einfacher Anfangsverdacht reicht aus. In der Regel muss zwar ein Gericht die Beschlagnahme anordnen, meist entscheidet allerdings die Polizei selbst, welche Daten sie anschließend ausliest und auswertet. Wurde ein Handy entsperrt, stehen erst einmal alle darauf gespeicherten Daten den Behörden offen, insbesondere auch intime persönliche und vertrauliche Informationen.

Die Polizei kann dann tiefe Einblicke in die Persönlichkeit und das Privatleben der Betroffenen nehmen und diese Erkenntnisse unter bestimmten Voraussetzungen für andere Zwecke weiterverwenden, ohne dass dies etwas mit dem ursprünglichen Gegenstand der Ermittlungen zu tun hat. Das untergräbt das grundlegende Vertrauen, dass digitale Kommunikation geschützt und vertraulich ist – sei es im privaten, beruflichen oder einem rechtlich besonders geschützten Rahmen. Solche Maßnahmen greifen damit tief in das sogenannte IT-Grundrecht ein, das die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme schützt.

Dass die Polizei meine Fotos gespeichert und ein Profil meiner politischen Aktivitäten erstellt hat, war ein massiver Eingriff in meine Privatsphäre und durch nichts gerechtfertigt. Wo bleibt die Pressefreiheit, wenn ich mich als Journalist nicht darauf verlassen kann, dass vertrauliche Informationen auch vertraulich bleiben?
Hendrik Torner
Nachwuchsjournalist und Kläger

Kann der Staat auf sensible Daten zugreifen, schreckt das außerdem Menschen von zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement sowie von journalistischer Recherche ab. Wenn etwa Journalist*innen fürchten müssen, dass staatliche Sicherheitsbehörden wegen eines geringfügigen Anfangsverdachts sämtliche vertrauliche Kommunikation auslesen können, erschwert das journalistische Arbeit massiv – besonders dann, wenn es um kritische Recherchen zu staatlicher Machtausübung geht. Das gefährdet die Pressefreiheit – einen Grundpfeiler der Demokratie.

STAATLICHE HANDYAUSWERTUNG BRAUCHT STRENGE GESETZLICHE GRENZEN

Wann ein so schwerwiegenden Grundrechtseingriff gerechtfertigt ist und wie weit er gehen darf, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber in einem Rechtsstaat selbst festlegen und auf angemessene Fälle beschränken. Außerdem braucht es gesetzliche Leitplanken, die verhindern, dass die Polizei Informationen aus dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensführung erfasst und auswertet.

Derzeit gibt es keine spezifische Rechtsgrundlage, die diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Gerichte geben in der Regel nicht vor, wie weit der Datenzugriff und eine Datenauswertung im Einzelfall gehen kann. Es ist mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nicht vereinbar, dass Polizei und Staatsanwaltschaft darüber allein entscheiden können.

WIR WOLLEN EIN GRUNDSATZURTEIL GEGEN UFERLOSE DATENAUSWERTUNG

Mit der gemeinsam mit Hendrik Torner und seiner Rechtsanwältin Gül Pinar (TWP Strafrechtskanzlei) erhobenen Verfassungsbeschwerde wollen wir feststellen lassen, dass Ermittlungsbehörden verfassungswidrig handeln, wenn sie auf den gesamten Datenbestand eines beschlagnahmten Handys zugreifen, weil es hierfür derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage gibt.

Bisher stützen die Ermittlungsbehörden sich auf die Beschlagnahmevorschriften der Paragrafen 94 ff. StPO, wenn sie Daten beschlagnahmter Handys auswerten. Diese Vorschriften regeln in ihrem Wortlaut aber weder, auf welche Art ein Datenzugriff zulässig ist, noch, in welchem Umfang er angemessen ist. Damit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, die den Rahmen des Datenzugriffs vorgibt. Der Gerichtsvorbehalt, der für eine Beschlagnahme vorgesehen ist, ist ebenfalls unzureichend, weil er meist keine Aussage dazu enthält, wie die Polizei anschließend mit den erfassten Daten umgehen soll.

DOKUMENTATION POLIZEILICHER MASSNAHMEN MUSS ERLAUBT SEIN

Mit unserer Verfassungsbeschwerde möchten wir auch feststellen lassen, dass es nicht die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes verletzt, und damit strafbar ist, wenn polizeiliche Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit stattfinden, dokumentiert werden. Hierzu gibt es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung und die Entscheidungen der unteren Gerichte sind nicht einheitlich.

DATENSCHUTZ IST GRUNDRECHTSSCHUTZ

Auch mit zwei anderen Verfahren stellen wir uns gegen die unverhältnismäßige Auswertung privater Handys durch den Staat. So erklärte das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2023 nach unserer Klage die Praxis der Handydatenauswertungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für rechtswidrig. Daneben gehen wir gegen die Erlaubnis und die behördliche Praxis vor, Handys und damit höchstpersönliche Daten von Schutzsuchenden auszulesen und auszuwerten – gestützt auf eine verfassungswidrige Regelung im Aufenthaltsgesetz.

Intime persönliche Informationen auf Handys müssen grundsätzlich vertraulich sein – für alle. Der Staat darf nur in Ausnahmefällen und nach strengen Regeln auf diese Daten zugreifen – ob das nun Menschen mit Fluchthintergrund, politisch Engagierte oder Journalist*innen betrifft.

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Grundrechte verteidigen.