
Polizeiliche Handybeschlagnahme: Digitale „Haus“-Durchsuchung ohne gesetzliche Grundlage
Wir wollen die Praxis stoppen, dass die Polizei nach einer Beschlagnahme des Handys praktisch unbeschränkt auf private Smartphones und die dort gespeicherten Daten zugreifen kann. Für einen so schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre und das Recht auf Datenschutz braucht es eine klare gesetzliche Grundlage – und enge Grenzen.
Anfang September 2023 begleitete der Nachwuchsjournalist Hendrik Torner eine Demonstration der „Letzten Generation“ in Bamberg mit der Absicht, darüber anschließend einen Artikel in einer Gewerkschaftszeitung zu verfassen. Torner begleitet regelmäßig zivilgesellschaftliche Demonstrationen aus journalistischer Perspektive und engagiert sich politisch. Nach Ende der Demonstration wurde er Zeuge einer polizeilichen Maßnahme gegen drei Teilnehmende der Demonstration. Dabei dokumentierte er die öffentlichen Äußerungen der Polizist*innen mit einer Sprachnotiz und schickte diese per Signal-Chat an sich selbst.
Die Beamt*innen warfen Torner anschließend eine Straftat wegen Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes nach Paragraf 201 Strafgesetzbuch vor. Sie beschlagnahmten sein Handy und ließen die hochsensiblen Daten mit Hilfe einer Software der Firma Cellebrite auslesen und auswerten – darunter auch private Fotos und Chatnachrichten. Anschließend erstellte die Polizei auf dieser Grundlage einen umfassenden Bericht zu den politischen Aktivitäten des Klägers sowie seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen linksgerichteten politischen Gruppen. Dabei war keinerlei Bezug zum konkreten Strafvorwurf erkennbar. Die Auswertung war somit offensichtlich nicht mehr vom Ermittlungszweck gedeckt.
Im April 2025 legte Torner am Landgericht Bamberg Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung der Beschlagnahme durch das Amtsgericht Bamberg ein. Die Beschwerdebegründung reichte die GFF mit der Rechtsanwältin Pinar im Juni 2025 ein.
ENORMES MISSBRAUCHSPOTENZIAL FÜR EINZELNE UND GESELLSCHAFT
Zur Strafverfolgung werden tagtäglich Handys beschlagnahmt und ausgewertet. Dies ist bei jeder denkbaren Straftat möglich; ein einfacher Anfangsverdacht reicht aus. Zwar muss die Beschlagnahme grundsätzlich gerichtlich angeordnet werden, doch regelmäßig entscheidet die Polizei selbst, welche Daten anschließend ausgelesen und ausgewertet werden. Wenn ein Handy erstmal entsperrt ist, stehen grundsätzlich alle darauf gespeicherten Daten den Behörden offen, insbesondere auch höchstpersönliche und vertrauliche Informationen.
Mit dem Zugriff auf den gesamten Datenbestand beschlagnahmter Mobiltelefone geht ein hohes Missbrauchspotential einher. Es besteht die Gefahr, dass die Polizei ohne Bezug zum eigentlich Beschlagnahmegrund tiefe Einblicke in die Persönlichkeit und den Kernbereich privater Lebensgestaltung der Betroffenen erhält und diese Erkenntnisse für andere Zwecke weiterverwendet. Das grundlegende Vertrauen in den Schutz digitaler Kommunikation wird untergraben – sei es im privaten, beruflichen oder rechtlich besonders geschützten Rahmen. Es ist ein schwerwiegender Eingriff in das sogenannte IT-Grundrecht, das die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme schützt.
Die praktisch anlasslose Durchleuchtung meines privaten Handys durch die Polizei hat mich und mein Umfeld schockiert: Es ist eine massive Verletzung meiner Privatsphäre und der Pressefreiheit. Dass die Polizei so repressiv auf die Dokumentation einer undurchsichtigen Maßnahme von Zivilpolizist*innen reagiert, zeigt, warum kritischer Journalismus notwendig ist.
Nachwuchsjournalist und Kläger
Darüber hinaus kann der weitreichende staatliche Datenzugriff auf sensible Daten Menschen von zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement sowie von journalistischer Recherche abschrecken. Wenn etwa Journalist*innen fürchten müssen, dass staatliche Sicherheitsbehörden wegen eines geringfügigen Anfangsverdachts sämtliche vertrauliche Kommunikation auslesen können, wird journalistische Arbeit massiv erschwert – besonders dann, wenn es um kritische Recherchen zu staatlicher Machtausübung geht. Das gefährdet die Pressefreiheit – einen Grundpfeiler der Demokratie.
STAATLICHE HANDYAUSWERTUNG BRAUCHT STRENGE GESETZLICHE GRENZEN
Die Zulässigkeit und Reichweite eines so schwerwiegenden Grundrechtseingriffs müssen in einem Rechtsstaat durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst festgelegt und auf angemessene Fälle beschränkt werden. Zudem bedarf es gesetzlicher Schutzvorkehrungen, die eine Erfassung oder Auswertung von Informationen aus dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensführung verhindern.
Doch derzeit fehlt es an einer spezifischen Rechtsgrundlage, die diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Ebenso mangelt es an einer vorherigen gerichtlichen Kontrolle, die Art, Umfang und Grenzen der Datenauswertung im Einzelfall vorgibt. Es ist mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nicht vereinbar, die Entscheidung über die Zulässigkeit und das Ausmaß der Datenauswertung allein der Polizei und Staatsanwaltschaft zu überlassen.
WIR WOLLEN EIN GRUNDSATZURTEIL GEGEN UFERLOSE DATENAUSWERTUNG
Mit der gemeinsam mit Kläger Hendrik Torner, seiner Rechtsanwältin Gül Pinar (TWP Strafrechtskanzlei) und Reporter ohne Grenzen erhobenen Beschwerde wollen wir zunächst feststellen lassen, dass die Maßnahme gegen Torner im Einzelfall unverhältnismäßig war. Denn über den konkreten Tatvorwurf hinaus wurde ein umfassendes politisches Profil des Betroffenen erstellt und dabei eine Vielzahl an sensiblen und persönlichen Daten ausgewertet und gespeichert.
Darüber hinaus wollen wir erreichen, dass das Landgericht Bamberg unsere Auffassung bestätigt: Es gibt derzeit keine verfassungs- und europarechtskonforme Rechtsgrundlage für die Auswertung von beschlagnahmten Handys. Die Datenauswertung wird zurzeit auf die Beschlagnahmevorschriften der §§ 94 ff. StPO gestützt, obwohl diese weder die Zulässigkeit noch die Reichweite und Grenzen der Auswertung ausdrücklich regelt. Damit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, die den Rahmen der Datenauswertung vorgibt. Auch der für die Anordnung der Beschlagnahme vorgesehene Gerichtsvorbehalt ist unzureichend, da er regelmäßig keine Aussage zur anschließenden Datenauswertung enthält.
DATENSCHUTZ IST GRUNDRECHTSSCHUTZ
Auch mit zwei anderen Verfahren stellen wir uns der unverhältnismäßigen Auswertung privater Handys durch den Staat entgegen. So erklärte das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2023 nach unserer Klage die Praxis der Handydatenauswertungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für rechtswidrig. Daneben gehen wir gegen die Erlaubnis und die behördliche Praxis vor, Handys und damit höchstpersönliche Daten von Schutzsuchenden auszulesen und auszuwerten – gestützt auf eine verfassungswidrige Regelung im Aufenthaltsgesetz.
Intime persönliche Informationen auf Handys müssen grundsätzlich vertraulich sein – für alle. Der Staat darf nur in Ausnahmefällen und nach strengen Regeln auf diese Daten zugreifen – ob das nun Menschen mit Fluchthintergrund, politisch Engagierte oder Journalist*innen betrifft.