
Polizeieinsätze in der LEA Ellwangen
Die Polizei stürmte eine Geflüchtetenunterkunft in Ellwangen ohne Durchsuchungsbeschluss. Wir unterstützen die Klage eines Geflüchteten gegen diese Grundrechtsverletzung.
Am 15. Juni 2023 verhandelte das Bundesverwaltungsgericht unsere Klage gegen die Groß-Razzia in der LEA Ellwangen vom Mai 2018. Gegenstand unserer Klage war erstens zu bestätigen, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung grundsätzlich auch für die Zimmer von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen gilt. Das konnte die GFF erreichen: Das Gericht stellte klar, dass wie Privatwohnungen auch Zimmer von Geflüchteten nur in Fällen einer dringenden Gefahr betreten werden dürfen. Das Gericht sah allerdings eine dringende Gefahr für das Betreten des Zimmers für ausreichend, aber auch erforderlich. Diese Gefahr sei mit der Ausreisepflicht des Klägers gegeben. Eine dringende Gefahr setzt jedoch eine Ausnahmesituation voraus, in der ein wichtiges Rechtsgut wie Leib oder Leben gefährdet ist. Nur dann kann das Eindringen in den privaten Lebensraum zulässig sein. Zweitens sollte festgestellt werden, dass das Betreten eines Zimmers in einer Geflüchtetenunterkunft ohne Durchsuchungsbefehl rechtswidrig ist. Das bestätigte das Gericht jedoch nicht, sondern billigte die Praxis, Wohnheimzimmer zum Zweck der Abschiebung zu jeder Tageszeit auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu durchsuchen.
Das Gericht sah demnach die Unverletzlichkeit der Wohnung auch für die Zimmer von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen als anwendbar an. Es erteilte damit der Auffassung der Vorinstanz eine klare Absage, wonach - ähnlich wie bei Geschäfträumen - für Wohnheimzimmer nicht der volle Schutz aus Art. 13 GG gelte. Allerdings wertete es die polizeiliche Maßnahme nicht als Durchsuchung, die nach dem Grundgesetz stets einen richterlichen Beschluss erfordert. Weil der kleine Raum auf einen Blick erfasst werden konnte, sei keine Suche erforderlich gewesen. Damit hebelt das Gericht den Schutz des Wohnraums in kleinen Wohnungen aus.
Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluss
Am 3. Mai 2018 fand in der LEA ein massiver Polizeieinsatz statt, bei dem die Zimmer aller Bewohner*innen durchsucht wurden, Identitätskontrollen durchgeführt wurden und viele Bewohner mit Handschellen gefesselt wurden. Anlass war die Abschiebung eines Mannes aus Togo, die einige Tage zuvor am friedlichen Widerstand der Bewohner*innen gescheitert war. 500 bis 600 Polizist*innen durchsuchten dabei die Zimmer der Bewohner*innen, darunter auch Sondereinheiten und Polizeihunde. Die Polizei legte dabei für keine der Durchsuchungen den erforderlichen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vor.
Einer der Wortführer des Widerstands der Geflüchteten, Alassa
Mfouapon, wurde am 20. Juni 2018 aus der Einrichtung abgeholt und abgeschoben.
Auch hier fehlte ein Gerichtsbeschluss zum Durchsuchen seines Zimmers; zudem
wurde er von den Polizeibeamt*innen so massiv gefesselt, dass er Verletzungen
davontrug. Im September 2018 hat Alassa Mfouapon vor dem Verwaltungsgericht
Stuttgart gegen die Polizeimaßnahmen geklagt. Seit Februar 2019 unterstützt die
GFF die Klage.
Teilerfolge vor den Verwaltungsgerichten
Am 19. Februar 2021 entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart (AZ 1K9602/18): Die Groß-Razzia im Mai 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen war unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Das Gericht war jedoch der Auffassung, dass es sich bei den Schlafzimmern in Geflüchteten-Unterkünften nicht um geschützte Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes handelt. Ein Durchsuchungsbeschluss sei nicht erforderlich gewesen – auch nicht für die Abschiebung am 20. Juni 2018. Damit griff das Urteil viel zu kurz. Die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften sind private Wohnräume und als solche gilt für sie das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.
Gegen das Urteil hatte der Kläger mit Unterstützung der GFF Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof entschied am 28. März, dass die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften zwar geschützte Wohnräume im Sinne des Art. 13 Grundgesetz seien. Allerdings schränkte das Gericht den Grundrechtsschutz erheblich ein. Die Polizei dürfe die Zimmer trotzdem betreten, auch ohne dringende Gefahr. Einen Durchsuchungsbeschluss brauche es nicht, wenn die Polizei nachts einen Bewohner abschieben will. Schließlich seien die Zimmer so klein und übersichtlich, dass keine Suche erforderlich sei (AZ 1 S 1265/21). Über die hiergegen eingereichte Revision verhandelt das Bundesverwaltungsgericht am 15. Juni 2023.
Unser FAQ zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig finden Sie hier:
Viele Polizisten, die in der Verhandlung ausgesagt haben, konnten sich an den Einsatz nicht mehr gut erinnern. Für uns ist es so, als wäre es gestern gewesen. Dieses Urteil ist wichtig für alle Geflüchteten, deren Rechte die Polizei an dem Tag verletzt hat.
Geflüchteten-Unterkünfte sind geschützte Wohnräume
Zimmer in gemeinschaftlichen Geflüchteten-Unterkünften sind Wohnungen nach Art. 13 GG und stehen daher unter besonderem Schutz. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein Grundrecht, das eng mit der Menschenwürde verbunden ist. Der Schutz der Wohnung schützt auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Das Bundesverfassungsgericht legt den Begriff der Wohnung daher weit aus. Der Schutz erstreckt sich auf alle Räume, in denen sich das Privatleben entfaltet. In Anwendung dieser Vorgaben haben Fachgerichte bereits Zimmer in Studentenwohnheimen, in einer Klinik sowie in Obdachlosenunterkünften als Wohnung anerkannt. Verschiedene Verwaltungsgerichte und zuletzt auch das Oberverwaltungsgericht Hamburg haben auch den Zimmern in Sammelunterkünften für Geflüchtete den Schutz der Wohnung zugesprochen.
Dieser Schutz muss uneingeschränkt gelten. Es darf für Geflüchtete keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse geben.
Eine Abschiebung aus dem Schlafzimmer ist eine Wohnungsdurchsuchung.
Betritt die Polizei ein Schlafzimmer in einer Geflüchteten-Unterkunft, um einen Bewohner abzuschieben, handelt es sich um eine Durchsuchung und es ist ein richterlicher Beschluss erforderlich.
Die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt unabhängig davon, wie groß der Raum ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob die zu ergreifende Person auf einen Blick erkennbar ist oder sich in einem durch einen Sichtschutz abgetrennten Bereich aufhält. Andernfalls hinge der Grundrechtsschutz von Zufällen wie der Größe und Überschaubarkeit einer Wohnung ab.
Maßgeblich ist vielmehr der Zweck der Maßnahme: Verfolgt die Polizei bei Betreten der Wohnung den Zweck, eine Person oder eine Sache aufzufinden, dann handelt es sich um eine Durchsuchung.
So sieht es auch das OVG Hamburg. In einem ähnlich von Fluchtpunkt Hamburg geführten Verfahren hat das Gericht im August 2020 eine Abschiebung für rechtswidrig befunden (OVG Hamburg, Urteil vom 18. August 2020 – 4 Bf 160/19; VG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2019 – 9 K 1669/18 –, juris). Die Polizei war in in den frühen Morgenstunden und ohne richterlichen Beschluss in das Zimmer eines irakisches Ehepaars mit drei Kindern eingedrungen, um die Familie abzuschieben.
Das OVG Hamburg bestätigte: Unterkünfte geflüchteter Personen sind Wohnungen nach Art. 13 GG. Betritt die Polizei diese, um jemanden aufzugreifen und mit dem Ziel einer späteren Abschiebung mitzunehmen, handelt es sich um eine Wohnraumdurchsuchung.
Wie wollen ein Grundsatzurteil gegen die rechtswidrige Abschiebepraxis
Die Unverletzlichkeit der Wohnung gehört zu den in der Verfassung verankerten Grundrechten. Die Wohnung soll allen Menschen als Rückzugsort dienen. In dieses Recht darf der Staat nur im Ausnahmefall eingreifen. Mit der derzeitigen Abschiebepraxis wird dieses Recht systematisch verletzt. Zimmerdurchsuchungen zwecks Abschiebungen finden deutschlandweit weiterhin ohne Durchsuchungsbeschluss statt.
Diese Praxis hat das Gesetz mittlerweile legalisiert und in § 58 Abs. 5 AufenthG festgelegt, dass es sich um ein reines „Betreten” handelt, wenn die Polizei zwecks Abschiebung in eine Wohnung eindringt. Damit wird der Schutz der Wohnung ausgehöhlt.
Dringend erforderlich ist deshalb eine höchstrichterliche Entscheidung, die diese rechtswidrige Abschiebepraxis in ganz Deutschland beendet.
