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Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 1, 2

NoPNR: Keine Massen­überwachung am Himmel

Wir gehen gegen die anlasslose Massenüberwachung von Fluggästen vor: Nach einem belgischen Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof konnten wir mit Hilfe dieser zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gewinnen.

Die GFF und die österreichische NGO epicenter.works – Plattform Grundrechtspolitik gehen gemeinsam gegen die massenhafte Speicherung und intransparente Verarbeitung von Fluggastdaten vor. Wir klagten vor deutschen und österreichischen Gerichten gegen die sogenannte PNR-Richtlinie. Dabei konnten wir nach einem Vorabentscheidungsverfahren ein erstes wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs nutzen: Das Urteil stärkte Grundrechte. Anfang Dezember 2022 konnten wir durch Inbezugnahme dieses Urteils zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gewinnen. Abzuwarten bleibt nun nicht nur unser Verfahren vor dem EuGH, sondern auch die Begründung des VG Wiesbaden, denn daran wird deutlich werden, wie stark das von uns erstrittene Urteil die anstehende Änderung des Fluggastdatengesetzes beeinflusst.
Bijan Moini

Bijan Moini

Legal Director und Syndikus

„Diese neue Form der Überwachung verletzt die Fluggäste in ihren europarechtlich garantierten Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Schutz personenbezogener Daten.“

Fluglinien sind laut der europäischen PNR-Richtlinie dazu verpflichtet, Daten über in- und ausländische Passagiere internationaler Flüge an nationale Polizeibehörden weiterzuleiten. Dort werden sie zentral gespeichert, von Algorithmen gefiltert und können von zahlreichen Behörden angefordert werden. Das bedeutet die Massenüberwachung des internationalen Flugverkehrs.

Fluggastdaten, oder PNR für Passenger Name Records, sind Datensätze mit ca. 20 Datenkategorien wie Namen, Geburtsdatum, Angaben zu Begleitpersonen und Zahlungsinformationen. Für jede*n Passagier*in wird pro Flug ein Datensatz angelegt. In Zusammenspiel mit Informationen zum Flug ergibt sich ein detailliertes Bild der Reise sowie der reisenden Person. Die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten wurde in der EU mit der Richtlinie 2016/681 (PNR-Richtlinie) eingeführt, die die Mitglieder bis Mai 2018 in nationales Recht umsetzen mussten.

In Deutschland werden die Fluggastdaten seitdem an das Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet und dort mit Datenbanken z.B. zu gesuchten Personen abgeglichen. Das BKA darf außerdem „Muster“ auf die Datensätze anwenden, mit denen verdächtige Personen ermittelt werden sollen, gegen die bislang kein Verdacht vorliegt. Auch andere Polizeibehörden, Geheimdienste und Verfassungsschutz können auf die Fluggastdaten zugreifen, außerdem können sie mit EU-Ländern und sogar mit Drittstaaten ausgetauscht werden.

Potenziell diskriminierende Massenüberwachung

Diese Vorratsspeicherung von Fluggastdaten ist eine weitere Form anlassloser Massenüberwachung. So werden laut Bundesverwaltungsamt allein in Deutschland jährlich circa 170 Millionen Fluggäste erwartet. Die zur Profilbildung („Muster“) genutzten automatisierten Entscheidungssysteme sind intransparent und potenziell diskriminierend – nämlich dann, wenn vermeintlich „neutrale“ Anknüpfungspunkte dazu führen, dass Personen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder anderer Merkmale als verdächtig eingestuft werden.

Außerdem ist nicht sicher, dass derartige Massenüberwachung überhaupt funktioniert. Es besteht die begründete Sorge, dass bei der Suche nach vermeintlichen künftigen Terrorist*innen Menschen massenhaft falsch verdächtigt werden. Ein EU-Mitgliedstaat etwa hält es bereits für verdächtig, wenn jemand mit zu wenig Gepäck eine lange Reise antritt.

Erfolgreiche erste Klagen

Wir haben zusammen mit Emilio de Capitani (ehemaliger Beamter des EU-Parlaments) und Malte Spitz (Generalsekretär GFF) auf verwaltungsrechtlicher Ebene, und mit weiteren Kläger*innen auf zivilrechtlicher Ebene geklagt.

Auf unsere Klagen hin hat das Amtsgericht Köln am 20. Januar 2020 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob die PNR-Richtlinie die Grundrechte der Grundrechtecharta der Europäischen Union verletzt. Nach Aufforderung des Gerichts haben wir dem EuGH in einer Stellungnahme zu diesem Vorlageverfahren dargelegt, warum die Richtlinie aus unserer Sicht grundrechtswidrig ist.

Nach unseren Klagen legte im Mai 2020 auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden zwei unserer Verfahren dem EuGH vor. Im Juni antwortet der EuGH jedoch auf ein Vorabentscheidungsersuchen aus Belgien und stärkte die Grundrechte. Auf diese wegweisende Entscheidung konnten wir uns schließlich vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden berufen und bekamen Recht: Das VG Wiesbaden gab unseren Klagen statt und bekräftigt damit EU-Recht. Wie sehr das von uns erstrittene Urteil die anstehende Änderung des Fluggastdatengesetzes beeinflusst hängt nun von der noch ausstehenden Begründung des VG Wiesbaden ab.

Fluggastdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Die Fluggastdatenspeicherung verletzt nach Auffassung der GFF unter anderem das in der Charta der Grundrechte der EU garantierte Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 7) und das Recht auf den Schutz persönlicher Daten (Art. 8).

Laut Europäischem Gerichtshof dürfen nicht einfach ohne triftigen Grund Daten von allen möglichen Menschen über Jahre hinweg gespeichert werden. Wir sind zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof unseren Argumenten folgt und feststellt, dass die PNR-Richtlinie mit der europäischen Grundrechtecharta unvereinbar ist.
Bijan Moini, Legal Director und Syndikus

Bereits im Juli 2017 befand der Europäische Gerichtshof in einem Gutachten eine ähnliche Form der Fluggastdatenspeicherung, wie sie in einem Abkommen der EU mit Kanada vorgesehen war, für grundrechtswidrig. Nun hat nach dem Vorabentscheidungsersuchen aus Belgien erneut Grundrechte aus der europäischen Grundrechte Charta gestärkt.

Die GFF hat mit ihren Kläger*innen ebenfalls zwei Wege zum EuGH eingeschlagen. Zum einen sind wir verwaltungsrechtlich gegen das Bundeskriminalamt vorgegangen und verlangten die Nichtverarbeitung und Löschung der Fluggastdaten. Auf unserem zivilrechtlichen Weg unterstützen wir Kläger*innen, die sich gegen die Übermittlung ihrer Daten durch die Fluglinien an das BKA wehren. Einige von ihnen üben Berufe aus, die ein besonderes Maß an Vertraulichkeit erfordern. So klagen mit uns unter anderem die Journalistin und Aktivistin Kübra Gümüşay, die Datenschutz-Beauftragte von Schleswig-Holstein Marit Hansen und der Datenschutzaktivist Alexander Sander.

Die Vertretung vor Gericht übernimmt der Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger. Zwischenzeitlich wurde unsere Verfahren vor dem EuGH pausiert, weil das Parallelverfahren aus Belgien vorrangig behandelt wurde. Denn das belgische Gesetz geht noch weiter als das deutsche. In unseren Verfahren erwarten wir Entscheidungen des EuGH im ersten Halbjahr 2021.

Wir danken dem Digital Freedom Fund für die Förderung dieses Projekts.

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