Quad9 Netzsperre: Keine urheberrechtliche Haftung für DNS-Dienste!
Wir unterstützen den unabhängigen DNS-Resolver Quad9 in einem Gerichtsverfahren gegen eine Verfügung, die die Einrichtung von Netzsperren auferlegt.
DNS-Resolver wie Quad9 übersetzen Domainnamen wie freiheitsrechte.org in numerische IP-Adressen wie 144.76.206.17. Sie sind notwendig, damit sich Menschen im Internet zurechtfinden können, ohne sich IP-Adressen zu merken. Quad9 ist ein unabhängiger, spendenfinanzierter DNS-Resolver mit Sitz in der Schweiz, der einen besonders datenschutzfreundlichen Dienst anbietet, der es seinen Nutzer*innen u.a. ermöglicht, ihre Anfragen zu verschlüsseln. Quad9 bietet seinen Nutzer*innen zudem einen Schutz vor Cyberangriffen, indem er Adressen nicht übersetzt, die im Rahmen von Phishing- und Malware-Attacken genutzt werden. Dabei entscheidet nicht Quad9 selbst, welche Adressen nicht aufgelöst werden, sondern setzt Empfehlungen von unabhängigen IT-Sicherheitsexpert*innen um.
Störerhaftung darf nicht beliebig auf unbeteiligte Dritte ausgeweitet werden
Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist eine einstweilige Verfügung, die das Landgericht Hamburg 2021 gegen Quad9 verhängt und erstinstanzlich bestätigt hat. In dieser einstweiligen Verfügung hat das Landgericht Hamburg Quad9 auf Antrag der Sony Music Entertainment Germany GmbH verpflichtet, den Zugang zu einer Webseite (Webseite A) zu sperren, auf der Links zu mutmaßlich urheberrechtsverletzenden Inhalten auf einer anderen Webseite (Webseite B) gespeichert seien. Mit Unterstützung der GFF hat Quad9 Berufung gegen das Urteil im Eilverfahren des Landgerichts Hamburg eingelegt und vor dem Landgericht Leipzig zunächst verloren. Im Dezember 2023 gab das Oberlandesgericht Dresden unserer Klage schließlich statt und bestätigte unsere Argumentation in Gänze.
Quad9 hat als DNS-Resolver, der lediglich Domainnamen in IP-Adressen übersetzt, keinerlei Verhältnis zu den Betreibern der beiden Webseiten oder den Nutzer*innen, die dort Inhalte hochladen. Von der eigentlichen Urheberrechtsverletzung ist Quad9 also sehr weit entfernt. Das Landgericht Hamburg nimmt in seiner einstweiligen Verfügung Quad9 nach den Grundsätzen der sogenannten Störerhaftung in Anspruch, weil Quad9 einen haftungsbegründenden Beitrag zu einer Urheberrechtsverletzung leiste, indem Quad9 den Domainnamen der Webseite A in die zugehörige IP-Adresse auflöst. Die Störerhaftung ist wegen ihrer ausufernden Anwendung auf Internetsachverhalte seit Jahren in der Kritik. Der deutsche Gesetzgeber hat die Störerhaftung für Access Provider mit der TMG-Novelle 2017 ausdrücklich abgeschafft, vor allem damit WLAN-Betreiber vor der kostenpflichtigen Inanspruchnahme als Störer geschützt werden. Wir sind überzeugt, dass auch DNS-Dienste sich auf diesen Haftungsausschluss berufen können, da sie einen wichtigen Bestandteil eines funktionierenden Internetzugangs darstellen. Um schnellstmöglich Klarheit zu schaffen, dass die Störerhaftung für DNS-Resolver wie Quad9 nicht gilt, haben wir Sony Music zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens aufgefordert.
Nach § 8 Abs. 1 S. 2 TMG haften Diensteanbieter, die den Zugang zu rechtswidrigen Informationen vermitteln oder diese Informationen durchleiten, ausdrücklich nicht mehr auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung. Das LG Hamburg geht aber davon aus, dass Quad9 sich nicht auf diese Haftungsprivilegierung berufen könne, weil es die urheberrechtsverletzenden Informationen nicht selbst von A nach B leite, sondern lediglich indirekt Zugang zu ihnen verschaffe. Diese Rechtsansicht führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass Quad9 gerade deshalb für Urheberrechtsverletzungen haften soll, weil es noch weniger mit den Urheberrechtsverletzungen zu tun hat als die Internetzugangsanbieter, die ebenfalls nicht an Urheberrechtsverletzungen beteiligt sind, aber zumindest die betreffenden Daten übertragen.
Wenn DNS-Resolver als Störer in Anspruch genommen werden können, würde dies einen gefährlichen Präzedenzfall für sämtliche Dienste bedeuten, die bei dem Abruf von Webseiten benutzt werden. Anbieter von Browsern, Betriebssystemen oder Antivirensoftware könnten mit der gleichen Begründung als Störer in Anspruch genommen werden, wenn sie die Erreichbarkeit von urheberrechtsverletzenden Webseiten nicht verhindern.
Nach Urteilen der Landgerichte Leipzig und Hamburg: OLG Dresden gibt der Klage statt
Im März 2023 urteilte das Landgericht Leipzig im Hauptsacheverfahren, dass Quad9 sogar als Täterin für vermeintliche Urheberrechtsverletzungen Dritter haften muss. Eine eklatante Fehlentscheidung, sagt Felix Reda, Leiter des Projektes control ©: „Das Landgericht Leipzig behandelt Quad9 so, als würde der Dienst selbst eine Urheberrechtsverletzung begehen, obwohl er bloß einen Webseitennamen in eine IP-Adresse auflöst. Folgt man dieser Argumentation, wäre die urheberrechtliche Haftung völlig neutraler Infrastrukturdienste wie Quad9 sogar strenger als die sozialer Netzwerke, die unter den berüchtigten Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie fallen.“
Dieses die Grundrechte schwer einschränkende Urteil konnte so nicht stehen bleiben. Deshalb unterstützt die GFF den DNS-Anbieter auf seinem Weg in die nächste Instanz zum Oberlandesgericht Dresden - und gewann. Das OLG stellt klar, dass DNS-Resolver-Dienste nicht so behandelt werden dürfen, als würden sie durch die Übersetzung der Domain-Namen in IP-Adressen selbst Urheberrechtsverletzungen begehen. Zudem entschied das OLG, dass die Haftungsprivilegierung für Zugangsvermittler aus dem Telemediengesetz für DNS-Resolver-Dienste gilt. Damit entfällt auch eine Störerhaftung dieser Dienste. Schließlich sei Quad9 im konkreten Fall auch nicht zur Einrichtung einer Netzsperre verpflichtet, da Sony Music sich zuvor nicht ausreichend bemüht hat, gegen den Host-Provider der vermeintlich urheberrechtsverletzenden Webseite vorzugehen.
„Das Urteil nimmt die Rechteinhaber in die Pflicht. Sie müssen künftig mehr unternehmen, um Urheberrechtsverletzungen gezielt aus der Welt zu schaffen, bevor sie unbeteiligte Dritte in Anspruch nehmen. Wenn Urheberrechtsverletzungen gezielt beseitigt werden, statt das ganze Webseiten auf Zuruf gesperrt werden, profitieren davon Internetnutzer*innen und Rechteinhaber“, sagt Joschka Selinger, Rechtsanwalt und Verfahrenskoordinator.
DNS-Sperre: Begrenzte Wirkung, grundrechtliche Probleme
Die Einrichtung der DNS-Sperre durch Quad9 führt nicht dazu, dass die Urheberrechtsverletzungen nicht mehr erreichbar sind. Internetnutzer*innen können über andere Kanäle problemlos auf gesperrte Webseiten zugreifen – womöglich bemerken sie nicht einmal, dass Quad9 zu einer Sperre verpflichtet wurde, da die meisten Nutzer*innen mehrere DNS-Resolver konfiguriert haben werden, die automatisch zum Zuge kommen, wenn ein Resolver eine Webseite nicht auflösen kann. Längst ist die betroffene Webseite außerdem unter einer anderen Domain zugänglich.
Dieser begrenzten Wirksamkeit steht ein schwerer Eingriff in das Grundrecht der Internetnutzer*innen auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 11 der EU-Grundrechtecharta gegenüber. DNS-Sperren betreffen stets den gesamten Inhalt einer Domain, sodass auch legale Inhalte von der Sperre mitbetroffen sind. Der EuGH hat bereits 2014 entschieden, dass Netzsperren nur dann mit der Informationsfreiheit der Internetnutzer*innen vereinbar sind, wenn der Zugang zu rechtmäßigen Informationen nicht unverhältnismäßig beschränkt wird und die Nutzer*innen effektive Rechtsschutzmöglichkeiten haben, um gegen die Sperrung vorzugehen. Die Gerichtsentscheidungen wecken insofern auch grundrechtliche Zweifel – den Nutzer*innen eines DNS-Resolvers steht kein gerichtlicher Rechtsbehelf gegen die DNS-Sperre offen. Wenn ein Internetzugangsanbieter den Zugang zu legalen Inhalten sperrt, haben dessen Kund*innen zumindest einen vertraglichen Anspruch gegen den Provider, bei der Nutzung eines kostenlosen DNS-Resolvers, den jede*r ohne vorherige Anmeldung nutzen kann, ist das nicht der Fall.
Private Rechtsdurchsetzung ersetzt nicht rechtsstaatliche Verfahren
Die gerichtlichen Auseinandersetzungen vor den Hamburger Gerichten und dem Landgericht Leipzig sind für Quad9 mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden. Allein die Kosten des Eilverfahrens belaufen sich auf einen fünfstelligen Betrag. Eine Summe, die sich ein kleiner Anbieter wie Quad9 nur kaum leisten kann.
Unabhängige Dienste können sich wegen der erheblichen Kosten gerichtlicher Auseinandersetzungen im Regelfall nicht gegen die Inanspruchnahme verteidigen. Die Abwälzung der Kosten und Risiken der Rechtsdurchsetzung auf unbeteiligte Dritte birgt damit die Gefahr, dass es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen künftig gar nicht erst kommt. Das würde bedeuten, dass Unternehmen wegen einer einzigen Urheberrechtsverletzung durch Zuruf die Sperrung gesamter Webseiten herbeiführen könnten. Zu einer gerichtlichen Überprüfung der Sperrverlangen käme es dann nicht mehr.
Das Verfahren gegen Quad9 steht in einem größeren Kontext konzertierter Versuche der Unterhaltungsindustrie, Netzsperren wegen Urheberrechtsverletzungen durchzusetzen – und zwar ohne gerichtliche Verfahren. Anfang 2021 haben Verbände der Unterhaltungsindustrie und Internetzugangsanbieter die „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ (CUII) gegründet. Die an der CUII beteiligten Internetzugangsanbieter wie die Deutsche Telekom, Vodafone und 1 & 1 setzen auf Empfehlung der CUII DNS-Sperren freiwillig um. Auch die Webseite, in der es in der einstweiligen Verfügung gegen Quad9 geht, steht auf der Sperrliste der CUII. Dieser Trend der privaten Rechtdurchsetzung ist rechtsstaatlich problematisch. Die Abwägung der Grundrechte der betroffenen Parteien kann nur durch staatliche Gerichte, nicht durch Interessenvertreter vorgenommen werden. Dies gilt erst recht in einem Verfahren, an dem die am stärksten Betroffenen, die Internetnutzer*innen, nicht beteiligt sind.
Wenn künftig auch DNS-Resolver sich gezwungen sehen, Webseiten auf Zuruf zu sperren, könnten die Sperrwünsche deutscher Rechteinhaberverbände sogar weltweite Wirkung entfalten. Wenn deutsche Internetzugangsanbieter wie die Telekom freiwillig eine DNS-Sperre verhängen, gilt diese zumindest nur für ihre deutschen Kund*innen. Für einen global agierenden DNS-Resolver ist es aber nicht ohne weiteres möglich, eine Sperre auf die Nutzer*innen eines Landes zu beschränken, weil diese Unterscheidung technisch nicht vorgesehen ist. Quad9 liegt die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren am Herzen, deshalb hat es unter großem personellem und finanziellem Aufwand sein System so umgebaut, dass die Umsetzung der einstweiligen Verfügung des LG Hamburg nicht über das Ziel hinausschießt und wie vom Gericht verordnet nur für Nutzer*innen in Deutschland gilt. Parallel zum Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Leipzig, das nun vor dem Oberlandesgericht Dresden in die nächste Instanz geht, hat Quad9 deshalb mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg eingereicht, um die einstweilige Verfügung rückgängig zu machen.
Sollte die Verpflichtung zum Einsatz von Netzsperren Bestand haben, wird es sicherlich nicht bei diesem Einzelfall bleiben. Wie wir durch Informationsfreiheitsanfragen herausfinden konnten, planen die Rechteinhaberverbände der CUII bereits die Sperrung von mindestens 170 Webseiten. Hinzukommen könnten ähnliche Forderungen aus anderen Ländern. Der Betrieb eines nichtkommerziellen, spendenfinanzierten DNS-Resolvers wie Quad9 wäre nicht mehr finanzierbar, wenn die Betreiber eine derart hohe Anzahl manueller, länderspezifischer Sperrungen vornehmen müssten. Die Alternative, dass jede Webseite, die in einem einzelnen Land illegal ist, weltweit nicht mehr erreichbar ist, wäre noch dramatischer – das Missbrauchspotential für autokratische Regime unermesslich. Umso wichtiger ist es, DNS-Resolver als technisch neutrale, dem Gemeinwohl dienende Internetdienste von jeglicher Haftung für Urheberrechtsverletzungen Dritter zu befreien.