Interview mit Familie E.: „Wir kämpfen für unsere Familie und gegen die Ungerechtigkeit, die uns die Anerkennung als solche verwehrt“
Tara und Tony E. wollen gerichtlich durchsetzen, dass sie beide als Eltern ihres Kindes anerkannt werden. Tara hat das Baby im Februar zur Welt gebracht und ist auch qua Geburtsurkunde seine Mutter. Aber Tony hat den Geschlechtseintrag „divers“ und wird deswegen nicht als zweites Elternteil, als „Vater“, anerkannt. Wir haben das junge Ehepaar gefragt, welche Erfahrungen es bislang mit den Behörden gemacht hat und was ihm nach der schwierigen Schwangerschaft und Geburt die Kraft gibt, womöglich jahrelang Gerichtsverfahren durchzufechten.
War das für euch schon immer klar, dass ihr ein Kind wollt?
Kinder bekommen, eine Familie gründen, Verantwortung tragen, das war für uns beide bereits ein Lebenstraum, bevor wir uns überhaupt kannten. Als wir uns dann trafen und verliebten, war schnell alles klar. Wir haben geheiratet, unser Nest gebaut und für das Kind gespart, das unser Leben für immer verändern würde. Die knappe Antwort: Ja!
Wann ist euch bewusst geworden, dass eure Situation schwieriger ist als die anderer Eltern?
Dass unsere Situation nicht mit der anderer Eltern zu vergleichen ist, stellte sich leider sehr rasch heraus. Zwar dachten wir zunächst, dass die „Ehe für alle“ uns ermöglichen würde, eine ganz normale Familie sein zu dürfen. Doch das erwies sich als dramatischer Trugschluss und traf uns sehr hart. Unsere Pläne waren stets von der traurigen und belastenden Tatsache überschattet, dass wir nie dieselben Rechte haben würden, die für andere Ehepaare selbstverständlich sind.
Wir sind liebende Eltern und wollen die Rechte und Pflichten in Bezug auf unser Kind mit allen Konsequenzen aufrichtig tragen und erfüllen. Wir sind zu zweit und wären somit zweifache Absicherung für unseren kleinen, schutzbedürftigen Nachwuchs. Und doch steht nur eine Person in der Geburtsurkunde. Was geschieht, wenn dieser Person etwas zustößt…?
Wie sind Schwangerschaft und Geburt verlaufen, wie geht es euch inzwischen?
Die Schwangerschaft war leider mit einigen gesundheitlichen Komplikationen verbunden und dennoch wunderschön, weil wir noch mehr zusammengewachsen sind. Zunächst starben wir fast vor Aufregung, als wir den Schwangerschaftstest zusammen machten. Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das „Plus“ erschien, liefen erst einmal Tränen der Erleichterung und des Glücks. In der 7. Schwangerschaftswoche traten unerwartet Blutungen auf. Wir hatten furchtbare Angst, wir könnten unser Kind verlieren. Doch auch das überstanden wir. Gegen Ende der Schwangerschaft wurde dann eine Schwangerschaftsvergiftung diagnostiziert, woraufhin ein erneuter, von Ängsten und Sorgen begleiteter Krankenhausaufenthalt nötig wurde. Unser Kind kam schließlich fünf Wochen zu früh.
All die Schmerzen und Sorgen und Ängste… wir trugen sie gerne und würden sie immer wieder für unser Kind tragen. Das haben wir durch die Schwangerschaft und die Geburt gelernt: Wir schafften es zu dritt, und wir schafften es als Familie.
Nun sind wir einige Wochen zu Hause und konnten uns von den ganzen Strapazen erholen. Endlich können wir unser Glück genießen und kuscheln, was das Zeug hält. Wir lieben einander unendlich und wir sind unfassbar stolze Eltern!
Wie kam es dazu, dass Tara in die Geburtsurkunde eingetragen wurde, Tony aber nicht?
Im Krankenhaus beantragten wir die Geburtsurkunde für unser Kind bei der dort ansässigen Zweigstelle des Standesamts. Wir füllten die entsprechenden Felder für Mutter und Vater aus, ein Feld für Menschen wie Tony mit „divers“-Eintrag gibt es ja nicht. Der Antrag wurde so ohne Einwände an den Hauptsitz des Standesamts weitergeleitet. Wir hatten schon große Hoffnungen. Sollten wir etwa doch beide als Elternteile anerkannt werden? Sollten sich unsere Sorgen und Ängste damit in Luft auflösen? Leider war dies nicht der Fall.
Als die Geburtsurkunde im Briefkasten lag und wir den Umschlag öffneten, war die Enttäuschung und der Ärger riesengroß. In der Geburtsurkunde ist nur ein Elternteil vermerkt und zwar die sogenannte „Mutter“. Tara ist demnach offiziell alleinerziehend. Tony wird mit keiner Silbe erwähnt…
Warum haben die Behörden Tony einfach ignoriert?
Dass Tony nicht als Elternteil anerkannt wird, das liegt einzig und allein am „falschen“ Geschlecht. Denn als nicht-männliche Person hat Tony keine Chance, Elternteil sein zu dürfen, obwohl durch unsere Ehe eine stabile, rechtlich fundierte Verbindung besteht. Tony ist weder Mutter noch Vater und darf daher keine Verantwortung für das Kind tragen, darf sich weder auf Rechte berufen, noch Pflichten erfüllen. Wäre Tony ein Mann, wäre das alles keine Frage…
Ist das Merkmal Geschlecht wirklich so schwerwiegend, so wichtig und unumstößlich in einer Zeit, in der “diverse” Menschen vermeintlich anerkannt werden, dass einem kleinen Kind der zweite Elternteil vorenthalten wird? Zählt die Sorge für ein Kind weniger, als das Geschlecht des Menschen, der für es sorgt? Das können und wollen wir nicht hinnehmen.
Was habt ihr jetzt weiter vor?
Wir wollen als die zwei Elternteile anerkannt werden, die wir schon sind! Tony und alle anderen Eltern mit „divers“- oder ganz ohne Geschlechtseintrag sollten einfach als „Elternteil“ in die Geburtsurkunde eingetragen werden, das würde auch ihre Identität berücksichtigen. Wir werden dafür kämpfen, als das gesehen und anerkannt zu werden, das wir sind: eine Familie!
Woher nehmt ihr die Motivation für den langen Rechtsstreit?
Ganz klar: Die Liebe zueinander und vor allem die unendlich tiefe Liebe zu unserem Kind, für das wir beide sorgen wollen, das wir beide beschützen wollen. Wir kämpfen für unsere Familie und gegen die Ungerechtigkeit, die uns die Anerkennung als solche verwehrt.
Uns unterscheidet nichts von anderen Eltern, außer die Ansicht der Gesellschaft über Tonys Geschlecht. Doch was sagt das Geschlecht über die Qualität eines Elternteils aus? Wir sind zwei Menschen, die ihr Kind lieben und bereit sind, alles zu geben, um die Eltern zu sein, die es braucht. Es ist nicht das Geschlecht, was Familien zu Familien macht, sondern Liebe, Zuneigung und die Sorge der Eltern um ihr Kind!